Augsburger Allgemeine (Land West)
Clemens verlässt London unvollendet
Das historische Halbfinale von Gabriel Clemens macht den Darts-Sport über Nacht zum Trend. Was wird vom Kurzzeit-Hype in Deutschland bleiben, wenn das WM-Spektakel im „Ally Pally“vorbei ist?
London Auf der Reise in die Heimat fühlte sich Gabriel Clemens trotz seiner famosen Festwoche von London unvollendet. Das Erreichen des WM-Halbfinales ist für Deutschlands besten Darts-Spieler zwar ein sensationeller Erfolg, doch das bedeutete ihm nach dem K.o. nicht viel. „Es überwiegt die Enttäuschung. Ich habe verloren, die Laune ist gar nicht so gut“, sagte Clemens nach dem 2:6 gegen den überragenden Engländer Michael Smith. Salopp merkte der 39
Jahre alte Saarländer zu seinen vorab gehegten Finalplänen an: „Ich hatte auch noch ’ne frische Unterhose. Es war alles darauf ausgelegt, bis zum Schluss da zu sein.“
So mussten Clemens und Partnerin Lisa Heuser in der Nacht zum Dienstag die Rückreise ins geliebte Saarland organisieren, wo der gelernte Maschinenschlosser voller Vorfreude zurückerwartet wird. Von der WM hängen bleiben werden weder das Preisgeld von 100.000 Pfund (rund 112.000 Euro) noch der erstmalige Sprung in die Top 20 der Rangliste, sondern die markanten Momente im Alexandra Palace: Erster Deutscher im Viertel- und dann auch im Halbfinale, an Neujahr ein 2023-Knallstart mit einem 5:1-Sieg über Primus Gerwyn Price, dem selbst riesige Kopfhörer nicht weiterhalfen.
„Erst danach werde ich das realisieren können, ich kann viel Positives daraus ziehen“, sagte Clemens, der es in wenigen Jahren vom Industriearbeiter zu einem
Darts-Star brachte, der zahlreiche Fans an die TV-Schirme lockte. Nach intensiven WM-Wochen mit riesiger Aufmerksamkeit und vielen Interviews hatte der geschlagene „German Giant“spätabends nur noch einen Wunsch: „Ich habe jetzt hoffentlich mal einen Tag frei.“Danach freue er sich aber, auch wieder auf die Bühne zu gehen. Der oft dröge und nüchtern auftretende Clemens spielte sich mit seinen Auftritten im „Ally Pally“in die Herzen vieler Fans. Vor Ort feierten die Anhänger den gemütlichen Saarländer mit Gesängen, in der Heimat fieberten Sportstars wie der frühere Fußball-Weltmeister Thomas Müller vor dem Fernseher mit.
Selbst gegen den Engländer Smith waren lautstarke „Oh, Gabriel Clemens“-Gesänge in der Halle auf einer Londoner Anhöhe zu vernehmen. „Der Ally Pally ist deutsch, definitiv“, sagte er. Nun wird die Frage sein, was in Deutschland vom Kurzzeit-PfeileHype
rund um den Jahreswechsel übrig bleibt. Das WM-Turnier rund um Weihnachten zieht in Deutschland immer mehr Leute in seinen Bann. Das Halbfinale gegen Smith sahen bei Sport1 im Schnitt 3,31 Millionen Menschen, die gesamte Session mit dem zweiten Halbfinale im Schnitt 1,99 Millionen Zuschauer. Am Donnerstag wartet ein Event in Neu-Ulm, am Samstag die seit Jahren von einem Privatsender übertragene PromiDarts-WM. (dpa)