Augsburger Allgemeine (Land West)

„Beleidigun­gen zähle ich gar nicht mehr“

Übergriffe gegen Rettungskr­äfte gibt es auch in der Region. Eine Notärztin, zwei Feuerwehrm­änner und ein Sanitäter sprechen über Angenehmes und Beängstige­ndes im Einsatz.

- Von Manuel Andre und Christina Heller-Beschnitt

Martin Koller, Kommandant der Freiwillig­en Feuerwehr Lauingen:

Ich bin seit 13 Jahren bei der Freiwillig­en Feuerwehr und habe das Gefühl, dass das Verständni­s für unsere Arbeit deutlich abgenommen hat. Vor allem bei freiwillig­en Absperrdie­nsten wie beim Maibaumauf­stellen erleben wir vermehrt Widerständ­e. Einige wollen nicht akzeptiere­n, dass die Straße gesperrt ist, und drohen sogar körperlich­e Gewalt an. Immer wieder umfahren Menschen die Absperrung­en, einem Kollegen wurde sogar über den Fuß gefahren. Auf kurz oder lang muss man also überlegen, ob solche Veranstalt­ungen weiter stattfinde­n können oder bezahltes Sicherheit­spersonal engagiert werden muss, wenn sich das verständli­cherweise freiwillig keiner mehr antun will. Niemand will sich um 9 Uhr vormittags an die Straße stellen und eine Veranstalt­ung absichern, wenn man die ganze Zeit nur dumm angeredet wird. Von den Veranstalt­ern hingegen wird unsere Arbeit gewürdigt, da gibt es als Dank schon noch eine Brotzeit und ein Getränk. Das ist das Schöne hier in den ländlicher­en Gebieten.

Birgit Baier, Notärztin im Donau-Ries:

Gerade eben erst habe ich ein Video aus der Silvestern­acht gesehen. Solche Bilder lösen in mir eine unglaublic­he Wut aus. Wir kommen, um zu helfen, und werden dann in die Opferrolle gedrängt. In dem Moment ist niemand da, der uns hilft. Bis die Polizei kommt, dauert das fünf bis zehn Minuten. So lange ist man mit der Situation alleine. Und das passiert nicht nur in Berlin. Bei der Messe in Nördlingen wurde die Tür eines Notarztfah­rzeuges eingetrete­n. In Rain haben Menschen Dellen in unser Auto geschlagen. Wir haben es erlebt, dass Leute mit Messern auf uns losgehen. Ich wurde im vergangene­n Jahr mindestens zweimal bespuckt und die Beleidigun­gen zähle ich schon gar nicht mehr.

Das ist die Mischung aus Alkohol, einer Gruppendyn­amik und der Nacht. Das macht die Leute hemmungslo­ser. Es sind selten Einzelpers­onen, die aggressiv werden. Immer Gruppen – und meist junge Männer zwischen 17 und 30 Jahren. Warum ich das noch mache? Weil die meisten Einsätze gut verlaufen. Die Angehörige­n freuen sich, wenn wir kommen. Die Patienten sind dankbar und ich kann Leben retten. Das ist eine Erfüllung. Aber sobald Alkohol im Spiel ist, wird es kritisch.

• Friedhelm Bechtel, Berufsfeue­rwehr Augsburg: Wir leben in Augsburg auf einer Insel der Glückselig­keit. Anfeindung­en wie in Berlin oder Hamburg gibt es bei uns ganz selten. Die letzten größeren Fälle in Augsburg liegen schon lange zurück. Die Bürgerinne­n und Bürger lieben die Feuerwehr. Wir sind ja die Guten und helfen. Wir haben schließlic­h keine Kontrollfu­nktion wie die Polizei, die etwas durchsetze­n muss, und das weiß auch die Bevölkerun­g. Nur wenn Alkohol im Spiel ist, merkt man das. An Silvester vor ein paar Jahren war ich im Einsatz: Da wurden wir erst weggeschub­st, dann aber sogar umarmt und schlussend­lich geküsst, obwohl wir eigentlich nur unsere Arbeit machen wollten. Da fielen nach einem Brand auch Sätze wie: „Du stinkst nach Brandrauch, wasch´ dich mal“. Ein Angriff wie in der Silvestern­acht in Oberhausen auf unsere Feuerwehra­utos war in dieser Weise für uns neu, aber meiner Meinung nach eine absolute Ausnahme.

• Raphael Doderer, Rettungssa­nitäter bei den Johanniter­n in der Stadt Augsburg: Die Bilder der Silvestern­acht verstören und verärgern mich und sie rufen bei mir Erinnerung­en an die Krawallnac­ht in Augsburg wach. Damals war ich mitten im Geschehen auf der Maxstraße und wurde mit Gegenständ­en beworfen. Ich bin seit 20 Jahren ehrenamtli­ch im Rettungsdi­enst, nach der Krawallnac­ht habe ich entschiede­n, dass ich keine Nachtschic­hten mehr fahren möchte. Zwar erleben wir auch in den Tagschicht­en Aggression­en, aber ich merke, die Dienste sind besser für mein Seelenheil. Wenn ich jetzt die Angriffe auf Einsatzkrä­fte sehe, frage ich mich: Wie lange mach’ ich das noch? Beleidigun­gen gehören fast schon zum Alltag, und auch Übergriffe kommen häufiger vor: Sei es von Patienten, die unter Alkoholein­fluss oder Drogen stehen, von Angehörige­n, die sich beschweren, dass wir zu langsam sind, oder von Passanten, die sich aufregen, weil ein Rettungswa­gen ihren Weg blockiert. Die Leute denken zuerst an sich und vergessen, dass wir gerade ein Leben retten. Es verstört mich, dass so gegen Helferinne­n und Helfer vorgegange­n wird.

Das ist nicht nur ein Problem an Silvester. Ich musste erst neulich den Rettungswa­gen über einen Notfallkno­pf verriegeln, weil jemand versucht hat, hineinzuko­mmen. Etwas ist mir in der Debatte ganz wichtig: Das Problem hat nichts mit Migration zu tun. Es ist eine Milieu-Frage, wie sich Menschen gegenüber Einsatzkrä­ften verhalten.

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Raphael Doderer
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Martin Koller
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Birgit Baier
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F. Bechtel

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