Augsburger Allgemeine (Land West)
Schöne Ziegelwände und dahinter die Tram
Die Straßenbahnwagenhalle in Lechhausen: Sie ist schwer zu entdecken und ein Bau, der von vergangenen Epochen erzählt. Sie war einmal Abstellplatz für die Beiwagen. Heute stehen darin besondere Straßenbahnen.
Von Bildender Kunst über Musik bis Literatur: In unserer Serie „Werk der Woche“stellen wir wöchentlich in loser Folge ein Kunstwerk mit regionalem Bezug vor, das die Begegnung lohnt.
„Gibt’s diese Adresse überhaupt?“, fragt die Referentin im Landesamt für Denkmalpflege. Stimmt, ich musste auch erst suchen, bis ich sie fand: Blücherstraße 63, eine Lücke zwischen Nachkriegs-Mietshäusern, etwas zurückgesetzt, abgesperrt mit einem Metallzaun. Hinter dem Eisengitter wachsen Schienen aus dem Asphalt, und die führen zu dem Bauwerk, über das ich etwas in Erfahrung bringen will: zur Straßenbahnwagenhalle. Tolles Wort, vier Substantive zusammengefügt wie ein langer Straßenbahnzug. Ein aus anderen Gegenden dieser Welt zugezogener Augsburger wird sich mal wieder freuen über die Zusammensetzmanie der deutschen Sprache.
Nun habe ich sie also gefunden, die Halle. Aus dem Asphalt hinter dem Eisengitter wachsen Schienen. Sie haben keinen Anschluss mehr ans Gleisbett der Linie 1, die durch die Blücherstraße fährt, aber sie führen nach hinten in die Tiefe des Grundstücks, an Hecke und grünen Containern vorbei hin zu einer düsteren Front aus Holz, Eisen und Glas. Ein fast flaches Dach mit einem höchstens angedeuteten Giebel, überm hohen basilikalen Raum eine Art Attika mit senkrecht gereihten und über die gesamte Gebäudefront gezogenen Glasscheiben, die großflächigen, aber feingliedrigen Holztore in eisernem Rahmen zu ebener Erde, das spricht eine nüchterne, aber auch noble Sprache.
Die langen Seitenwände sind aus Ziegelrechtecken gefügt und mit einer oben umlaufenden Glasfront aus schmalen Industriefenstern versehen. Nur vier Materialien: Eisen, Holz, Glas, Ziegel – man sieht: Diese Halle ist eindeutig ein Bauwerk der Moderne, ein
Zweckbau, rein funktional, ohne Ornament und Schnörkel, auf ihre Art auch irgendwie schön. Vor allem die Spuren des Verfalls berühren, die vom Zahn der Zeit angefressenen Ziegelflächen, hie und da ein geflicktes Metallgelenk, der Rost auf den schmalen Fensterprofilen, die blinden Glasscheiben.
Aber was ist mit dieser Halle? Am Tag des offenen Denkmals steht sie, die Schlichte, Nüchterne, so gar nicht Prunkvolle, zur Besichtigung, und ich will wissen: Ist sie ein Denkmal? Nein, sagen das Landesamt und die Stadtwerke. Nein, sagt der Architekturhistoriker Gregor Nagler, und die Untere Denkmalschutzbehörde sagt nichts. Eine Zeitzeugin aber ist sie, die Halle, ein gebautes Zeugnis, das von vergangenen Epochen erzählt, und damit wäre sie denkmalwürdig, ein Denkmal der Technikund Industriegeschichte. Aber egal: Wichtig ist, was die Halle erzählen kann.
Ich entdecke neben einem der Tore ein Schild in Sütterlinschrift: „Freunde der Augsburger Straßenbahn“. Da frag ich mal nach. Ein Verein, bis vor kurzem 600 Mitglieder, jetzt immerhin noch 300 – der ist ja selber schon fast ein Denkmal, ein soziales, und mit Sinn fürs Historische! Rührend, wie die Mitglieder an einer Hallenecke eine alte Trambahn-Haltestelle nachgebaut haben. Und der Vorsitzende Herbert Wasner, ein gestandener Verkehrsmeister und Busfahrer im Ruhestand, kann mir endlich erzählen, was es mit der Halle auf sich hat.
1926 wurde sie erbaut – wusste ich’s doch: saubere Bauhaus-Architektur! – und viele, viele Jahre, fast 60, wurden in ihr die „Beiwagen“abgestellt, bis zum Jahr 1994, als die Linie 1 verlängert wurde. Beiwagen? Ja, früher waren Straßenbahnen keine durchgehenden Züge mit Gelenken, sondern da gab es Anhänger, die an den Triebwagen
angeschlossen wurden. In Stoßzeiten zwei Beiwagen, in „Schwachzeiten“, wahrscheinlich zwischen 9 und 16 Uhr sowie abends, nur einer. Und für diese Schwachzeiten war die Straßenbahnwagenhalle da, erzählt Wasner, da wurden die nicht benötigten Beiwagen abgestellt. (Eigentlich müsste sie ja Straßenbahnwagenabstellhalle heißen, das wären fünf zusammengesetzte Worte.)
Heute stehen lauter Oldtimer in der Blücherstraße 63, erzählt Wasner weiter, veritable TechnikDenkmale, und jetzt kommt er ins Schwärmen: Ein Exemplar von jedem Fahrzeugtyp bewahrt der Verein, eingesetzt zwischen 1936 und 1956, „wunderschöne Fahrzeuge“, des Weiteren ein Omnibus von 1974, ganz kaputt vom Schrottplatz geholt und aufwendig restauriert, und dann der tolle Triebwagen 165, Baujahr 1926, mit seiner Plattform und den Gittern.
Alte Augsburgerinnen und
Augsburger, die gern an den Oldtimer-Rundfahrten des Vereins teilnehmen, erzählen dann, wie sie als Jugendliche auf die Plattform der fahrenden Tram aufgesprungen sind, wie sie sich auf dieser Plattform im Winter die Füße abfroren. Am kommenden Samstag lädt der Verein zu Rundfahrten mit den historischen Straßenbahnen (eigentlich muss es ja „Strossabaa“heißen), um 14, 15 und 16 Uhr ab Königsplatz. Am Tag des Offenen Denkmals, 11. September, kann man in der Blücherstraße 63 zwischen 11 und 16.30 Uhr in Augsburger Straßenbahn-Erinnerungen schwelgen, die alten Triebund Beiwagen anschauen und auch der Straßenbahn-Wagenhalle seine Aufmerksamkeit schenken, das ist doch mal eine Entdeckung.