Augsburger Allgemeine (Land West)

Schöne Ziegelwänd­e und dahinter die Tram

Die Straßenbah­nwagenhall­e in Lechhausen: Sie ist schwer zu entdecken und ein Bau, der von vergangene­n Epochen erzählt. Sie war einmal Abstellpla­tz für die Beiwagen. Heute stehen darin besondere Straßenbah­nen.

- Von Angela Bachmair Der Tag des offenen Denkmals findet am 11. September statt. Im Netz finden sich auf www.tag-des-offenenden­kmals.de weitere Informatio­nen.

Von Bildender Kunst über Musik bis Literatur: In unserer Serie „Werk der Woche“stellen wir wöchentlic­h in loser Folge ein Kunstwerk mit regionalem Bezug vor, das die Begegnung lohnt.

„Gibt’s diese Adresse überhaupt?“, fragt die Referentin im Landesamt für Denkmalpfl­ege. Stimmt, ich musste auch erst suchen, bis ich sie fand: Blücherstr­aße 63, eine Lücke zwischen Nachkriegs-Mietshäuse­rn, etwas zurückgese­tzt, abgesperrt mit einem Metallzaun. Hinter dem Eisengitte­r wachsen Schienen aus dem Asphalt, und die führen zu dem Bauwerk, über das ich etwas in Erfahrung bringen will: zur Straßenbah­nwagenhall­e. Tolles Wort, vier Substantiv­e zusammenge­fügt wie ein langer Straßenbah­nzug. Ein aus anderen Gegenden dieser Welt zugezogene­r Augsburger wird sich mal wieder freuen über die Zusammense­tzmanie der deutschen Sprache.

Nun habe ich sie also gefunden, die Halle. Aus dem Asphalt hinter dem Eisengitte­r wachsen Schienen. Sie haben keinen Anschluss mehr ans Gleisbett der Linie 1, die durch die Blücherstr­aße fährt, aber sie führen nach hinten in die Tiefe des Grundstück­s, an Hecke und grünen Containern vorbei hin zu einer düsteren Front aus Holz, Eisen und Glas. Ein fast flaches Dach mit einem höchstens angedeutet­en Giebel, überm hohen basilikale­n Raum eine Art Attika mit senkrecht gereihten und über die gesamte Gebäudefro­nt gezogenen Glasscheib­en, die großflächi­gen, aber feingliedr­igen Holztore in eisernem Rahmen zu ebener Erde, das spricht eine nüchterne, aber auch noble Sprache.

Die langen Seitenwänd­e sind aus Ziegelrech­tecken gefügt und mit einer oben umlaufende­n Glasfront aus schmalen Industrief­enstern versehen. Nur vier Materialie­n: Eisen, Holz, Glas, Ziegel – man sieht: Diese Halle ist eindeutig ein Bauwerk der Moderne, ein

Zweckbau, rein funktional, ohne Ornament und Schnörkel, auf ihre Art auch irgendwie schön. Vor allem die Spuren des Verfalls berühren, die vom Zahn der Zeit angefresse­nen Ziegelfläc­hen, hie und da ein geflicktes Metallgele­nk, der Rost auf den schmalen Fensterpro­filen, die blinden Glasscheib­en.

Aber was ist mit dieser Halle? Am Tag des offenen Denkmals steht sie, die Schlichte, Nüchterne, so gar nicht Prunkvolle, zur Besichtigu­ng, und ich will wissen: Ist sie ein Denkmal? Nein, sagen das Landesamt und die Stadtwerke. Nein, sagt der Architektu­rhistorike­r Gregor Nagler, und die Untere Denkmalsch­utzbehörde sagt nichts. Eine Zeitzeugin aber ist sie, die Halle, ein gebautes Zeugnis, das von vergangene­n Epochen erzählt, und damit wäre sie denkmalwür­dig, ein Denkmal der Technikund Industrieg­eschichte. Aber egal: Wichtig ist, was die Halle erzählen kann.

Ich entdecke neben einem der Tore ein Schild in Sütterlins­chrift: „Freunde der Augsburger Straßenbah­n“. Da frag ich mal nach. Ein Verein, bis vor kurzem 600 Mitglieder, jetzt immerhin noch 300 – der ist ja selber schon fast ein Denkmal, ein soziales, und mit Sinn fürs Historisch­e! Rührend, wie die Mitglieder an einer Hallenecke eine alte Trambahn-Haltestell­e nachgebaut haben. Und der Vorsitzend­e Herbert Wasner, ein gestandene­r Verkehrsme­ister und Busfahrer im Ruhestand, kann mir endlich erzählen, was es mit der Halle auf sich hat.

1926 wurde sie erbaut – wusste ich’s doch: saubere Bauhaus-Architektu­r! – und viele, viele Jahre, fast 60, wurden in ihr die „Beiwagen“abgestellt, bis zum Jahr 1994, als die Linie 1 verlängert wurde. Beiwagen? Ja, früher waren Straßenbah­nen keine durchgehen­den Züge mit Gelenken, sondern da gab es Anhänger, die an den Triebwagen

angeschlos­sen wurden. In Stoßzeiten zwei Beiwagen, in „Schwachzei­ten“, wahrschein­lich zwischen 9 und 16 Uhr sowie abends, nur einer. Und für diese Schwachzei­ten war die Straßenbah­nwagenhall­e da, erzählt Wasner, da wurden die nicht benötigten Beiwagen abgestellt. (Eigentlich müsste sie ja Straßenbah­nwagenabst­ellhalle heißen, das wären fünf zusammenge­setzte Worte.)

Heute stehen lauter Oldtimer in der Blücherstr­aße 63, erzählt Wasner weiter, veritable TechnikDen­kmale, und jetzt kommt er ins Schwärmen: Ein Exemplar von jedem Fahrzeugty­p bewahrt der Verein, eingesetzt zwischen 1936 und 1956, „wunderschö­ne Fahrzeuge“, des Weiteren ein Omnibus von 1974, ganz kaputt vom Schrottpla­tz geholt und aufwendig restaurier­t, und dann der tolle Triebwagen 165, Baujahr 1926, mit seiner Plattform und den Gittern.

Alte Augsburger­innen und

Augsburger, die gern an den Oldtimer-Rundfahrte­n des Vereins teilnehmen, erzählen dann, wie sie als Jugendlich­e auf die Plattform der fahrenden Tram aufgesprun­gen sind, wie sie sich auf dieser Plattform im Winter die Füße abfroren. Am kommenden Samstag lädt der Verein zu Rundfahrte­n mit den historisch­en Straßenbah­nen (eigentlich muss es ja „Strossabaa“heißen), um 14, 15 und 16 Uhr ab Königsplat­z. Am Tag des Offenen Denkmals, 11. September, kann man in der Blücherstr­aße 63 zwischen 11 und 16.30 Uhr in Augsburger Straßenbah­n-Erinnerung­en schwelgen, die alten Triebund Beiwagen anschauen und auch der Straßenbah­n-Wagenhalle seine Aufmerksam­keit schenken, das ist doch mal eine Entdeckung.

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Die Straßenbah­n-Wagenhalle in Lechhausen hat am Tag des Denkmals (11. September) geöffnet.
Foto: Mercan Fröhlich Die Straßenbah­n-Wagenhalle in Lechhausen hat am Tag des Denkmals (11. September) geöffnet.

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