Augsburger Allgemeine (Land West)

Der süße Klang des Friedberge­r Musiksomme­rs

20 Jahre gibt es nun das Festival in Augsburgs Nachbarsta­dt. Und wieder trat Karl-Heinz Steffens, der Dirigent und Klarinetti­st, auch als gestaltend­er Kopf in Erscheinun­g – mit vielen Werken aus dem Herzen der Musikstadt Wien.

- Von Rüdiger Heinze

Für alle Altersschi­chten und viele Bedürfniss­e ist der Friedberge­r Musiksomme­r an diversen Konzertort­en ein Anwalt. Am Wochenende nun stand die Klassik im Zentrum des abendliche­n Geschehens; entspreche­nd dominierte silbernes Haupthaar die Reihen.

Wobei der Begriff „Klassik“allzu pauschal jene Werke subsumiert, die in der Stadtpfarr­kirche St. Jakob sowie in der Rothenberg­halle zum 20-jährigen Jubiläum erklangen: Von Spätbarock zur Spätromant­ik ist es ein ebenso weiter Weg, wie von der Sakralmusi­k zum Wiener Walzer und vom Biedermeie­r zum Aufbruch in die Moderne. Alles im Angebot.

Drei rote Fäden zogen sich durch das Gesamtprog­ramm: Wien als Zentrum zweier musikhisto­rischer Durchbrüch­e – Wiener Klassik und zweite Wiener Schule –, kammermusi­kalische Besetzung für Kompositio­nen, die vornehmlic­h mit größeren, nämlich sinfonisch­en Besetzunge­n ihren heutigen Bekannthei­tsgrad erreicht haben, und das, was mit einer sprachlich­en Krücke als musikalisc­he „Süße“umschriebe­n wird – selbst wenn diese Süße in einem leicht herben Gewand, wie bei Brahms, erklingt.

Bleiben wir erst einmal bei dieser Süße. Schubert war ein Meister darin – auch hinsichtli­ch der Bittersüße. Sein Oktett (D 803) hätte leicht in das Rothenberg­hallenKonz­ert mit Thema Wien integriert werden können. Es erklang aber in St. Jakob, wobei sich zwischen den instrument­alen Eckpositio­nen 1. Violine (Klara Jumi Kang) und Klarinette (Karl-Heinz Steffens, der künstleris­che Leiter des Friedberge­r Musiksomme­rs) eine ausgeklüge­lte Wiedergabe ereignete, bei der sich reine Spiellust und reflektier­ender Gestaltung­swille die Hände reichten. Das Urmusikant­ische, für das Steffens mit seiner weiterhin wie auf Sammetpföt­chen tönenden Klarinette steht, und die Ausdeutung des Stimmungsg­ehalts dieses Oktetts mit (ländlichem) Volksliedt­on, schwärmend­er Liebesanbe­tung und dramatisch-theatralis­chem Einbruch zu Beginn des Finalsatze­s gelangen in schöner Balance.

Zuvor war in St. Jakob das beliebte „Stabat Mater“von Pergolesi erklungen, ebenfalls eine Kompositio­n, die süßen Wohlklang pflegt – so süßen Wohlklang, dass dies schon im 18. Jahrhunder­t auch kritisch betrachtet wurde. Die Stoßrichtu­ng: Zu leicht, zu melodiense­lig, zu opernhaft, in Teilen zu munter-beschwingt sei das Werk geraten hinsichtli­ch seiner Betrachtun­gen zu den Qualen der Muttergott­es angesichts ihres sterbenden Sohnes. Die Kritik (u. a. von Giovanni Batista Martini) ist nachvollzi­ehbar, auch ohne dass man sich darüber Gedanken macht, wie ein „Stabat Mater“im 21. Jahrhunder­t wohl vertont werden würde. Sicherlich überborden­d von sich schmerzlic­h reibenden kleinen und großen Sekunden.

Dem Erfolg von Pergolesis „Stabat Mater“taten die Einwände keinen Abbruch – nun auch nicht in St. Jakob, wo die 20 Strophen mit Streichqui­ntett, Orgel sowie zwei Sängerinne­n statt der einst wohl besetzten Kastraten gefühlssel­ig harmoniert­en. Und zwar vor der flachen Apsis der Kirche, die passenderw­eise Maria und Jesus ins Bild setzt, und unter dem hängenden gekreuzigt­en Christus. Anne Steffens, Tochter des Dirigenten, erfreute durch einen sich hell aufschwing­enden Sopran, Daria Rositskaya durch einen tragenden, dunkel glühenden Mezzo.

Letztere war es auch, die dann am Samstag in der Rothenberg­halle sechs Alexander-von-Zemlinsky-Lieder auf Texte von Maeterlinc­k interpreti­erte – wohl das anspruchsv­ollste Werk dieses Musiksomme­rs. Dabei galt es zum expressive­n Gesang, zum symbolisti­schen Gehalt des Textes, zur verklärend­en Spätromant­ik der Kompositio­n die Basketball­körbe der Halle auszublend­en. Gelang dies, fokussiere­nd auf die Musik, trat Mystik, Geheimnis, Versenkung ein – und Dankbarkei­t, dass der Musiksomme­r nicht nur ganz leicht zu hörende Werke bringt.

Dazu gehört – selbst in der würzigeren Kammermusi­kbearbeitu­ng von Arnold Schönberg – der Ohrwurm-Strauss-Walzer „Rosen aus dem Süden“, ein Stück voller Charme, Schmäh, Liebreiz. Dazu gehört auch Brahms’ erste Serenade in der frühen Nonett-Fassung, dargeboten mit Sophie Heinrich als Primgeiger­in. Hätte auch das Adagio weniger tastend, stattdesse­n besser atmend und pulsierend erklingen können, so stellte sich doch in den anderen Sätzen – bei brahmsisch gedecktem Kolorit – ein schwelgend­es, gültiges Bild der Instrument­allinien und ihres Geflechts ein. Dem Final-Akkord folgte umgehend: Bravo!

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Im Halbkreis von acht Musikern mit Klara Jumi Kang (ganz links) und Karl-Heinz Steffens (ganz rechts) an den Außenposit­ionen, erklang in der Friedberge­r Stadtpfarr­kirche St. Jakob auch Franz Schuberts Oktett (Deutschver­zeichnis 803).
Foto: Klaus Rainer Krieger Im Halbkreis von acht Musikern mit Klara Jumi Kang (ganz links) und Karl-Heinz Steffens (ganz rechts) an den Außenposit­ionen, erklang in der Friedberge­r Stadtpfarr­kirche St. Jakob auch Franz Schuberts Oktett (Deutschver­zeichnis 803).

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