Augsburger Allgemeine (Land West)
Viel besser als ihr Ruf
Trollinger, Grauburgunder, Lambrusco – auch Rebsorten und Weine können aus der Mode kommen. Wenn sich dann aber ambitionierte Winzer finden, die Neues wagen, sind wunderbare Weine zu interessanten Preisen zu entdecken.
Was haben Rebsorten wie Trollinger und Grauburgunder, Weine wie Lambrusco und Anbaugebiete wie Beaujolais gemeinsam? Der Ruf ist beschädigt und die Tropfen sind oftmals in der Versenkung verschwunden. Das kann mehrere Gründe haben: Image versaut, schlechtes Marketing oder Ereignisse, die den einstmals guten Ruf ramponiert haben.
Unterhalb des Radars des Angesagten allerdings arbeiten ambitionierte Winzer und erfinden ihr Thema neu unter dem Schirm der Nichtbeachtung. So entstehen wunderbare Weine zu höchst interessanten Preisen. Noch sind sie Geheimtipps.
„Mei, der Trollinger“: das ist wie die Halbe Bier – die soll man nicht wegschieben“, sagt Gert Aldinger, der Grandseigneur des gleichnamigen Weinguts in Fellbach.
Mit Preisen und Höchstbewertungen werden er und seine zwei Söhne Hansjörg und Matthias, die den Betrieb bereits übernommen haben, überhäuft. Allererste Liga also und keine Not mehr, eine rote Rebsorte anzubauen, die durchsichtig bis hellfarben ist, ein Image so zwischen Lothar Matthäus und Dieter Bohlen hat und maximal ein gnädiges Kopfschütteln bei vielen Weintrinkern auslöst.
Das ist durchaus verständlich, wenn man betrachtet, was so manche Winzer und Genossenschaften in Württemberg dieser Rebsorte angetan haben, als sie die Erträge in die Höhe jagten und dann die Maische auf etwa 80 Grad erhitzten, um eine vordergründige Beerennote zu erreichen. Das Aromenspektrum und die Lagerfähigkeit, die diese Rebsorte zu bieten hätte, wurden dabei zerstört. Welch hohe Qualität mit dieser Rebsorte auch in anderen Anbaugebieten zu erreichen ist, kann man wunderbar in Südtirol beobachten wo der Trollinger auf den Namen „Vernatsch“oder „Schiava“hört.
Im Hause Aldinger gibt es nicht nur einen, sondern gleich vier verschiedene Trollinger. Alle „weit weg von dieser smoothigen Brühe“. Darauf besteht Gert Aldinger. Selbst der einfache „Feldhase“(8 Euro) wird auf der Maische vergoren und verbleibt einige Monate im Holzfass. Die „Alten Reben“(12 Euro) verbringen dort gleich eineinhalb Jahre. Was mit dem Trollinger noch alles möglich ist, zeigen die Aldingers mit ihrem „Rosé vom Untertürkheimer Gips“, den es nur mit Subskription gibt, und ihrem „Sine“, der mit einem gänzlich unbedruckten weißen Vorderetikett daherkommt. Auf der Rückseite dann wird die Sinnhaftigkeit des Weinnamens „Sine“(lateinisch: „ohne“) erklärt: Ohne Entrappen der Beeren, ohne Zugabe von Reinzucht-Hefen, ohne AlkoholAnreicherung, ohne Schwefel, ohne Filtration. (14,50 Euro, www.weingut-aldinger.de)
Auch der Grauburgunder litt über die Jahre so still dahin. Die Rebsorte, die weiland vom Kaufmann Ruland aus Speyer maßgeblich verbreitet wurde, hört auch auf den Namen „Ruländer“. Von seinem italienischen Auftritt als „Pinot Grigio“in den 80er Jahren hat er sich nie mehr ganz erholt. Hauptsächlich aus dem Veneto kamen damals sehr schlichte Versionen an Weinen aus dieser Rebsorte, die eigentlich mit ihrem eingängigen Schmelz und der feinen Haselnussnote durchaus beeindrucken kann.
Stefanie, Susanne und Georg Renner aus Gols im österreichischen Burgenland haben in ihrem Naturwein-Startup-Weingut „rennasistas“mit einem Wein namens „Gewürz“gezeigt, wozu der Grauburgunder fähig ist. Die Rebsorte hat nämlich, wie Rotweintrauben, auch rote Farbpigmente in der Schale. So entstand in diesem „Demeter“-zertifizierten Betrieb auf Lehmund Sandboden mit Kalk-Einschlüssen ein roséfarbener Wein, der in Wirklichkeit gar kein Rosé ist. Mit dabei: ein kleinerer Anteil der ebenfalls nicht mehr sehr geschätzten Rebsorte Traminer. Georg Renner hatte mit seinen Geschwistern die Idee, „die Kunden mitzunehmen auf die Reise zum Naturwein“. Ein faszinierender Einstieg in höchste Qualität ist das. (21 Euro, www.wir2liebenwein.de) „Aus der Mode ist bei uns Programm.“Mit diesem Statement hat der Nürnberger Weinhändler Martin Kössler in seiner „Weinhalle“gleich 14 verschiedene Variationen eines Tropfens, dessen Ruf in Deutschland nicht schlechter sein könnte. Man verbindet ihn mit billiger BahnhofsGastronomie und ersten Studenten-Besäufnissen. Die Rede ist vom Lambrusco. In Italien hat dieser Wein seine Talsohle längst durchschritten, die er, nach ständigem Qualitätsabfall, in den 90er Jahren erreicht hatte. Auf den Weinkarten und dabei vor allem unter der Rubrik „Bollicine“, also „Perlen“, glänzt der Lambrusco beim Schaumwein-begeisterten italienischen Publikum.
Der Lambrusco, der hauptsächlich aus der dunkelroten Rebsorte „Grasparossa“ und der hellen und Säure-geprägten „Sorbara“gemacht wird, kann wirklich viel. Vom lässigen Perlwein, der eine Brotzeit mit dem High-End-Schinken Culatello und Parmesan aus seiner Heimat, der Emilia-Romagna, begleitet, bis hin zu einem eleganten Schaumwein, der nach der Champagner-Methode hergestellt ist und jedem gegrillten Schwertfisch mit Kapern zur Ehre gereicht. Übrigens in staubtrockener Version, wie wohl es großartige süße („amabile“) Exemplare gibt, die es sogar mit einer Schoko-Mousse aufnehmen können, was nicht viele Weine schaffen. Lambrusco bietet die größte Bandbreite an Stilen und Charakteren im Schaumweinbereich an – zu Preisen, die aufhorchen lassen. Ein „hidden champion“, der größten Spaß macht bei hoher
Qualität. (Grasparossa L’Acino/Corte Manzini, 12 Euro, www.weinhalle.de)
Wir erinnern uns alle noch an den Hype um den Beaujolais Primeur: Da wurde Tage heruntergezählt in einem Countdown, verbleibende Kilometer gefeiert, die der erste Lkw noch vor sich hatte, ehe er mit dem vermeintlichen Wundergetränk die Grenze zum Tal der ahnungslosen Weintrinker, nach Deutschland, überschritt. Immer am dritten Donnerstag im November war es dann so weit. Es kam ein belangloses Wässerchen an, zunächst in die Weinläden, später dann nur noch in die Supermarkt-Regale, das man tunlichst kühler, so die Empfehlung, trinken sollte. Ein guter Rat, denn so blieben all die Fehler in diesem minderjährigen Getränk verborgen. Schlechtes Marketing war in diesem Fall nicht zu attestieren, allein es war eine zunehmende Überflutung mit mäßiger Qualität. Zuerst verflog deshalb das Image und dann die Menge. Auch in der deutschen Gastronomie spielt der Beaujolais keine Rolle mehr.
Zurückgeblieben ist ein Anbaugebiet, das, in unmittelbarer Nähe des Burgund mit seinen unbezahlbaren Weinen, Tropfen aufzuweisen hat, die zugänglich und unkompliziert für kleines Geld zu haben sind und richtig Spaß machen. Es geht hier um die rote Rebsorte Gamay, die Weine mit einer feinen Textur hervorbringt und mäßigen Gerbstoffen, die den Gaumen umschmeicheln. Eine Entdeckung zu feinen Wurstwaren und geschmacksintensivem Käse. Das ist einfach verständlich und verlangt nicht nach Weinseminaren, die man vor dem Genuss absolviert haben sollte. Stephan Geisel beschäftigt sich in seiner „Weingalerie“seit Jahrzehnten mit französischen Weinen in höchster Qualität. „Der Beaujolais (so nennt man sowohl das Gebiet als auch den Wein) ist eine Dornenkrone geworden für Handel und Gastronomie nach diesem Primeur-Desaster. Dabei sind das wunderbare Weine für offene Frankophile, die einen guten Franzosen schätzen.“Die ernsthafteste Region im Beaujolais namens „Morgon“liefert, bei aller Eigenständigkeit mit ihren Granitböden, Weine, die den roten Burgundern schon in die Augen sehen können. (Morgon „Archambault“/Domaine Raphael Chopin, 23 Euro, www.geisels-weingalerie.de)
Am meisten unterschätzt ist allerdings eine Machart in der Weinbereitung, die niemand auf diesem Erdenrund besser beherrscht als die deutschen Winzer. Es geht um restsüße Weißweine. Schuld daran ist dieses Wort „trocken“. Es auszusprechen ist fast schon ein Reflex für Menschen, die sich nicht perfekt im Wein auskennen. Was soll man auch sonst sagen, wenn die
Zu allem Überfluss warf man den Trollinger auch noch in der halbtrockenen Version auf den Markt
Die Restzuckerwerte geben auch nicht zuverlässig Auskunft, ob etwa der Riesling trocken schmeckt
Weinkarte unlösbare Rätsel aufgibt und der Sommelier und die Tischgesellschaft auf einen sinnhaften Satz der Begründung warten, auf die Frage nach den eigenen Vorlieben beim Wein. Damit man sich nicht blamiert, sagt man eben „trocken“. Dabei hängt die Faszination eines Weines von ganz anderen Komponenten wie dem Extrakt, dem Alkohol und eben dem Restzuckergehalt ab. Die wichtigste ist im Fall der süßen Weine die Säure. Wenn das Verhältnis dieser beiden Antipoden stimmig ist, dann wirkt der Wein weder sauer noch pappig. Dann nämlich fängt er an zu vibrieren, und das feine Spiel der Aromen beim Riesling, der Königsrebsorte in dieser Disziplin, kann beginnen. Überhaupt erst möglich wird es durch die klimatischen Gegebenheiten in vielen deutschen Riesling-Anbaugebieten, nämlich gemäßigte Temperaturen mit einer langen Vegetationsperiode von April bis in den November hinein.
Als Verbraucher sollte man sich aber nicht strikt an den Restzuckerwerten orientieren, die gerne einmal im Prospekt auftauchen. Gemäß dem deutschen Weingesetz gilt ein Wein als trocken, solange er nicht mehr als neun Gramm Restzucker pro Liter hat. Tatsächlich jedoch kann ein Riesling mit mehr als 30 Gramm Restzucker und einer dezidierten Säure von zehn Gramm durchaus trocken schmecken. Sommeliers und Spitzenköche haben längst erkannt, welch große Fähigkeiten dieser Weintyp als Speisenbegleiter hat. Ein Riesling von der Mosel, der Nahe oder dem Rheingau umarmt die Schärfe eines asiatischen Gerichts geradezu. Trockene Weine zerschellen an diesen Aromen. Auch zum Käse ist ein fruchtsüßer Weißwein der perfekte Begleiter. Im Weingut J.J. Prüm, einem der Elitebetriebe an der Mosel, wird den Gästen zum Schmorbraten vom Reh nicht etwa ein roter Spätburgunder, sondern ein gereifter restsüßer Riesling serviert. Der Restzucker macht diese Art von Weinen haltbar fast bis in die Unendlichkeit.
Der schönste Vorteil dieses großartigen Außenseiters ist allerdings der niedrige Alkoholgehalt, der sich meistens zwischen sieben und elf Prozent bewegt. Nicht umsonst raunt man sich in Fachkreisen den feinen Spruch zu: „Talk dry – drink sweet.“(2020 Wehlener Sonnenuhr Kabinett, 32 Euro, www.weinfurore.de)