Augsburger Allgemeine (Land West)
„Wie will man so das Ausbautempo erreichen?“
Interview Carsten Körnig vertritt die deutsche Solarwirtschaft. Er erklärt, weshalb die ehrgeizigen Energie-Ziele von Wirtschaftsminister Habeck allein nicht reichen und wo dringend nachgeschärft werden muss.
Herr Körnig, die Bundesregierung will beim Ausbau der erneuerbaren Energien das Tempo vervielfachen. Sind Sie zufrieden mit dem „Osterpaket“von Wirtschaftsminister Robert Habeck? Carsten Körnig: Wir begrüßen außerordentlich die Zielsetzung des Vizekanzlers, die gewaltigen heimischen Potenziale der Solarenergie endlich entfesseln zu wollen, für einen wirksameren Klimaschutz und für mehr Versorgungssicherheit. Das Osterpaket sieht vor, dass bis 2030 in Deutschland Solarstromanlagen mit einer Leistung von 215 Gigawatt gebaut sein sollen. Bisher sind in Deutschland 60 Gigawatt Photovoltaikleistung in Betrieb. Das bedeutet, dass wir das Tempo der Solarisierung vervierfachen müssen. Dies kann nur gelingen, wenn privaten Verbrauchern und gewerblichen Unternehmen Energiewende-Investitionen noch deutlich schmackhafter gemacht werden, als dies bislang der Fall ist. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass ein Großteil geeigneter Dachflächen weiterhin brachliegt und nicht für die Sonnenenergie-Ernte genutzt wird.
Sind die Ausbau-Ziele realistisch und überhaupt umsetzbar?
Körnig: Der Zubau an Photovoltaik soll nach dem Willen der Regierung zur Hälfte auf Gebäuden und zur Hälfte ebenerdig, also auf Freiflächen erfolgen. Diese Einschätzung teilen wir. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die Zahl der Solaranlagen auf den Dächern von derzeit 2,5 Millionen bis zum Jahr 2030 auf etwa fünf Millionen verdoppeln muss und zusätzlich 0,2 Prozent der Landesfläche für Photovoltaikanlagen benötigt werden. Das Osterpaket sieht dafür ein paar gute Ansätze vor. Es gibt aber Punkte, an denen der vorgelegte EEG-Entwurf dringend nachgebessert werden sollte.
Wo sehen Sie zum Beispiel Korrekturbedarf an Habecks Entwurf?
Körnig: Bisher ist eine höhere Vergütung für den Solarstrom nur vorgesehen, wenn die Anlagen ihren Strom vollständig ins öffentliche Netz einspeisen. Volleinspeiser erhalten bis zu 13,8 Cent pro Kilowattstunde. Wer dagegen einen Teil des Stroms selbst verbraucht, erhält eine deutlich geringere Vergütung für den ins öffentliche Netz eingespeisten Überschussstrom auf dem unveränderten Niveau vom April dieses Jahres. Dieser Betrag liegt damit rund 30 Prozent niedriger als im Frühjahr 2020. Wie will man unter diesen Bedingungen eine Vervierfachung des Ausbautempos erreichen?
Warum sind diese Solaranlagen so wichtig, wenn gar nicht der ganze Strom ins Netz fließt?
Körnig: Einen Teil des erzeugten Solarstroms selbst nutzen zu können, ist eine Bedingung für viele Unternehmen, um in eine Photovoltaikanlage zu investieren. Umfragen haben
uns gezeigt, dass viele Unternehmer dann investieren, wenn sich Solaranlagen auf dem eigenen Firmendach zumindest innerhalb von zehn Jahren amortisieren, nicht aber erst nach 15 Jahren. Zudem will die Regierung ja die Sektorenkopplung fördern, also die klimafreundliche Elektrifizierung der Mobilität und Wärmeerzeugung. Dies wird für viele Unternehmen erst dann attraktiv, wenn sie einen Teil ihres selbst erzeugten Solarstroms zum Beispiel für den Betrieb des eigenen E-Fuhrparks oder einer Wärmepumpe verwenden können. Der Bundestag muss die Konditionen für Teileinspeiser deshalb dringend nachjustieren.
Gibt es genug Platz für den Ausbau der Freiflächen-Solaranlagen? In manchen Gemeinden sind die bebauten Felder nicht mehr so gerne gesehen… Körnig: Wir benötigen rund 0,2 Prozent der Landesfläche für Photovoltaik, um Habecks Solarziele zu erreichen. Dafür muss man als Solaranlagenbetreiber weder in Naturschutzgebiete noch auf Hochertragsböden gehen. Derzeit ist die nutzbare Flächenkulisse für neue Solarparks jedoch so stark eingeschränkt, dass die heraufgesetzten Ausbauziele mangels nutzbarer Standorte bestenfalls zur Hälfte umsetzbar wären. Zwar ist es bereits heute möglich, Photovoltaikanlagen auf sogenannten benachteiligten Gebieten, also auch auf ertragsarmen Böden zu errichten. Das Problem ist
dass jedes Bundesland zuvor dafür eine Verordnung erlassen muss und diese Flächen beliebig limitieren kann.
Was schlagen Sie vor?
Körnig: Benachteiligte landwirtschaftliche Gebiete sollten künftig grundsätzlich für Photovoltaik geöffnet werden, ohne dass man zuvor 16 Bundesländern einzeln hinterherlaufen muss! Nicht nachvollziehbar ist auch, warum Solarparks lediglich in 200 Meter breiten Streifen entlang der Bundesautobahnen errichtet werden dürfen. Warum 200 Meter? Die Begrenzung führt dazu, dass Investoren häufig mit mehreren Landwirten verhandeln müssen, um eine Solaranlage zu bauen, ein oft aussichtsloses, zumindest aber Kosten treibendes Unterfangen. Deshalb schlagen wir vor, dass Solarparks zumindest in einem 500 Meter breiten Streifen entlang der Autobahnen errichtet werden können. Gleiches sollte für Bundesstraßen gelten.
Könnte man nicht gleich einfach über den Autobahnen künftig Solardächer bauen?
Körnig: Der damit verbundene zusätzliche Aufwand für Konstruktion, Planungs- und Genehmigungsprozesse dürfte in der Regel unverhältnismäßig sein. Durchaus sinnvoll erscheint es uns aber, zum Beispiel Parkplätze künftig vermehrt mit Solartechnik zu überbauen und den Solarstrom so auch für Ladestationen verfügbar zu machen.
Wie teuer ist Solarstrom heute eigentlich in der Herstellung?
Körnig: Wir können heute Solarstrom aus Freiflächenanlagen bereits für vier bis sieben Cent pro Kilowattstunde erzeugen, auf Gebäuden liegen die Erzeugungskosten zwischen acht und 14 Cent je Kilowattstunde. Zum Vergleich: Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen beim Stromverbrauch vom Energieversorger über 30 Cent.
Bekommen Sie für den massiven Solarausbau genug Material? Viele Branchen wie die Auto-Industrie haben derzeit massive Engpässe ... Körnig: Die Liefersituation ist auch in Teilen der Solarbranche angespannt, das berichten zahlreiche Solarunternehmen. Unsere Branche ist in erheblichem Umfang auf Importe aus Asien angewiesen. CoronaLockdowns haben die Frachtkapazitäten verknappt. Das schlägt sich zum Teil auch auf die Preise von Solarkomponenten nieder. Wir hoffen aber, dass sich die Situation spätestens im Verlauf des nächsten Jahres bessern wird.
Wären da nicht mehr heimische Fertigungskapazitäten sinnvoll?
Körnig: Durchaus. Corona und der Ukraine-Krieg zeigen, dass Resilienz – also die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit – Bestandteil einer industriepolitischen Strategie sein muss, insbesondere auch in der Energiebranche. Die Bundesregierung sollte sich gemeinsam mit anjedoch, deren europäischen Staaten dafür einsetzen, zumindest eine solare Grundversorgung entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus europäischer Fertigung abdecken zu können.
Wie stehen die Chancen dafür?
Körnig: Einige unserer Mitgliedsunternehmen planen oder prüfen derzeit ernsthaft den Auf- und Ausbau von Solarfabriken in Europa. Die Chancen dafür haben sich in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der zunehmenden Automatisierung der Fertigung bei gleichzeitig wachsenden Transportkosten deutlich verbessert. Es sollte der Bundesregierung aber bewusst sein, dass andere Staaten wie zum Beispiel die USA oder China mit sehr attraktiven Programmen um die Ansiedlung von Solarfabriken buhlen.
Gibt es genug Handwerker, die die Module am Ende auch installieren?
Körnig: Wir gehen davon aus, dass sich die Beschäftigtenzahlen in der Solarbranche bis 2030 von derzeit rund 50.000 auf 100.000 mindestens verdoppeln müssen, um die neuen Ausbauziele zu erreichen. Vor zehn Jahren lag die Anzahl der Beschäftigten schon einmal bei 130.000 in Deutschland. Wir beobachten derzeit ein deutlich gestiegenes Interesse konventioneller Handwerksbetriebe und junger Ingenieure und Ingenieurinnen, in die Solarbranche einzusteigen. Längere Wartezeiten bei der Installation einer Solaranlage werden daher hoffentlich nur von vorübergehender Natur sein.
Erneuerbare Energie soll spätestens seit dem Ukraine-Krieg Gas und Kohle ersetzen. Was aber, wenn es Nacht ist und auch der Wind nicht weht? Körnig: Windkraft und Photovoltaik ergänzen sich gut: Im Winter gibt es meist weniger Sonne, dafür mehr Wind, im Sommer ist es umgekehrt. Die berechtigte Frage ist, was passiert, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint? Zahlreiche Studien haben belegt, dass sich auch für diese Zeiträume künftig unter anderem mithilfe von Batteriespeichern für die Kurzfristspeicherung und des gezielten Einsatzes biologisch oder synthetisch hergestellter Gase für die Langfristspeicherung die Versorgungssicherheit rund um die Uhr und über das gesamte Jahr gewährleisten lässt. Bei neuen Solaranlagen für das Eigenheim investiert bereits heute mehr als jeder Zweite inzwischen in einen Batteriespeicher. Auch die Anzahl der Photovoltaik-Gewerbespeicher hat zuletzt deutlich zugenommen.
geboren 1970, ist seit Anfang 2006 Geschäftsführer des Bundesverbandes Solar wirtschaft.