Augsburger Allgemeine (Land West)

Funk statt Werkstatt

Technik Fehler beheben, Funktionen hinzufügen – das funktionie­rt bei modernen Autos heute durch die Luft.

- Thomas Geiger, dpa

Je mehr Software im Auto zum Einsatz kommt und je besser die Fahrzeuge vernetzt sind, desto stärker orientiert sich die Industrie an Smartphone und Computer. Sie spielt regelmäßig Updates auf. Und statt ihre Kunden dafür in die Werkstätte­n zu holen, machen Hersteller zunehmend Gebrauch von der integriert­en Mobilfunkv­erbindung und übertragen die Daten kabellos.

Over-the-Air-Update oder kurz OTA heißt der Zauber. Damit sollen die Fahrzeuge besser mit dem steigenden Innovation­stempo Schritt halten und länger jung bleiben. Denn anders als bisher, gibt es die Neuerungen dann nicht nur schneller, sondern auch für bereits ausgeliefe­rte Autos.

„Das Over-the-Air-Update ist die neue Modellpfle­ge“, sagt Magnus Östberg, der bei Mercedes die Elektronik-Entwicklun­g leitet. Die Designer werden zwar auch weiterhin für klassische Facelifts sorgen. Doch zumindest die Ingenieure müssen künftig immer öfter nur noch auf den Knopf zum „Senden“drücken.

„Damit können wir Neuerungen künftig schneller einführen und einem breiteren Kundenkrei­s zugänglich machen“, sagt Östberg: „Statt in einem Rhythmus von bislang rund drei Jahren kommen die Neuheiten dann alle sechs Monate.“

Viel tun müssen Kunden dafür nicht, so Östberg weiter. Denn im Idealfall laufen die Updates automatisc­h im Hintergrun­d. Die Systeme aktualisie­ren sich von selbst. Und erst, wenn auf dem Bildschirm die

Vollzugsme­ldung erscheint, erfährt man überhaupt, dass es ein Update gegebenen hat. „Natürlich immer nur, wenn der Kunde diesen Updates zuvor zugestimmt hat“, sagt Östberg.

Ging es dabei bislang zumeist nur ums Infotainme­nt oder die Navigation, rücken neuerdings auch zentrale Funktionen in den Fokus der Programmie­rer. „Das gilt vor allem für die Elektroaut­os“, sagt Stefan Moeller vom E-Auto-Vermieter Nextmove.

Die Entwicklun­gszeiten vor allem bei den Themen rund um die Batterie seien sehr kurz. Und der Druck sei hoch, neue Technologi­en frühzeitig in Serie zu bringen. „Deshalb geht die Entwicklun­g schrittwei­se

weiter, während die Autos schon auf der Straße sind“, sagt Moeller. So könnten dann auch nachträgli­ch etwa das Energieman­agement, die Ladeleistu­ng oder adaptive Routenplan­ung optimiert und so zum Beispiel die Standzeite­n verkürzt oder auch die Reichweite vergrößert werden.

Mit dem Over-the-Air-Update seien solche nachträgli­chen Verbesseru­ngen schneller und leichter umsetzbar und zugleich könnten Fehler besser korrigiert werden. „Bisher ließen die sich erst nach Jahren beim Facelift abstellen oder man musste mit einem Rückruf die Reißleine ziehen.“Jetzt dagegen genügt ein Fingerzeig auf dem Touchscree­n und die neue Software läuft ein.

Das jüngste und zugleich weitreiche­ndste Beispiel dafür kommt aus dem VW-Konzern. Dort wird für die ID-Modelle der Muttermark­e und ihre elektrisch­en Geschwiste­r bei Audi, Skoda und Cupra gerade die Software 3.0 ausgespiel­t.

„Mit ihr verbessern wir die Sprachsteu­erung, es gibt neue Grafiken und Anzeigen auf den Displays, die Assistenzs­ysteme lernen dazu, die Ladeleistu­ng wird angehoben und die Reichweite optimiert“, sagt Pressespre­cher Stefan Voswinkel. Dass dabei ein gehöriges Datenvolum­en zusammenko­mmt, überrascht deshalb nicht: „Download und Installati­on dauern rund sechs Stunden“, hat Stefan Moeller ermittelt.

Einige Experten sehen neben der Vorteile auch Risiken. Eine Sorge: Hersteller könnten demnach in Versuchung geraten, ein „noch nicht fertig entwickelt­es Auto“auf den Markt zu bringen, so der ADAC auf seiner Seite. Mögliche Fehler in der Software könnten dann „insgeheim“in der Folge entfernt werden. So könnten auch sicherheit­srelevante Probleme „heimlich mit einem Update“behoben werden ohne offizielle­n Rückruf.

Zwar sind die meisten Aktualisie­rungen bislang gratis und kosten die Kunden allenfalls Zeit. Doch hat die Industrie die Online-Facelifts längst auch als Geschäftsm­odell entdeckt. Neben den Updates gibt es dann Upgrades. Die lassen sich die Hersteller laut Jan Burgard vom Strategieb­erater Berylls gut bezahlen.

Er schlägt damit die Brücke zu den so genannten „Functions on Demand“: Davon erhoffen sich die Hersteller künftig auch dann noch üppige Umsätze, wenn ihre Autos schon verkauft sind.

„Bislang sind das nur Kleinigkei­ten wie neue Beleuchtun­gsszenarie­n, Komfortext­ras oder nette Spielereie­n, doch da stehen wir gerade erst am Anfang“, sagt Burgard. Das sieht Mercedes-Softwarech­ef Östberg nicht anders. Er kann sich zum Beispiel vorstellen, dass man den teuren Drive Pilot für das autonome Fahren in der S-Klasse nicht mehr für einen mittleren vierstelli­gen Betrag beim Kauf bestellt, sondern ihn nur noch tage- oder wochenweis­e etwa vor langen Autobahnfa­hrten bucht.

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Foto: Volvo Fast fertig: Je nach Umfang kann es dauern, bis neue Daten und Funktionen auf das Fahrzeug gespielt werden.

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