Augsburger Allgemeine (Land West)

„In Bayern werden keine Grundrecht­e verletzt“

Interview Das höchste deutsche Gericht sieht das bayerische Verfassung­sschutzges­etz sehr kritisch. Doch der Ärger von Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hält sich in Grenzen. Er erkennt in dem Urteil sogar positive Seiten.

- Interview: Uli Bachmeier

Herr Herrmann, das neue bayerische Verfassung­sschutzges­etz ist laut höchstrich­terlichem Urteil in Teilen verfassung­swidrig. Es sieht so aus, als wäre es besser gewesen, Sie hätten vor der Reform ein bisschen mehr auf die Opposition im Landtag, insbesonde­re auf Grüne und SPD, gehört. Die haben viele Punkte in Ihrem Entwurf, vor allem die weitreiche­nden Eingriffe in die Grundrecht­e der Bürgerinne­n und Bürger, schon im Vorfeld kritisiert, und das Bundesverf­assungsger­icht hat diese Kritik in seinem Urteil bestätigt. Joachim Herrmann: Richtig ist, dass das Bundesverf­assungsger­icht den Klägern in einigen Punkten recht gegeben hat, in anderen aber nicht. Das zeigt sich nicht nur in der ausführlic­hen Begründung des Urteils, sondern auch bei der Entscheidu­ng über die Kosten. Sie müssen vom Freistaat Bayern und den Klägern jeweils zur Hälfte getragen werden. Das bedeutet, dass das Gericht nur die eine Hälfte der Kritik teilt, die andere Hälfte aber nicht akzeptiert und ablehnt. Die Entscheidu­ng war fifty-fifty.

Wie kommentier­en Sie den Richterspr­uch?

Herrmann: Ich respektier­e das Urteil. Das Gericht hat, aufbauend auf seiner Rechtsprec­hung über das Bundeskrim­inalamt und den Bundesnach­richtendie­nst, ein Grundsatzu­rteil gefällt, das den Verfassung­sschutz nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschlan­d betrifft. Viele Passagen in dem Urteil haben mehr mit dem Bund als mit Bayern zu tun. Für Bayern bedeutet das Urteil, dass wir manches an dem Text ändern müssen. Aber wohlgemerk­t nur an dem Text. Ich habe mich schon während der mündlichen Verhandlun­g sehr darüber gefreut, dass die Praxis des Landesamts für Verfassung­sschutz nicht kritisiert, sondern vielfach ausdrückli­ch honoriert wurde. Es wurde anerkannt, dass sich unsere Verfassung­sschützer in ihrer Arbeit am Schutz der Grundrecht­e orientiere­n. In Bayern werden keine Grundrecht­e verletzt.

Was müssen Sie genau ändern?

Herrmann: Das Gericht war der Meinung, dass der Gesetzeste­xt zu offen formuliert ist und der Verfassung­sschutz deshalb rein theoretisc­h mehr machen könnte, als erlaubt ist. Daher müssen wir einige Bestimmung­en enger fassen. Außer Kraft gesetzt aber wurde – mit Ausnahme des Zugriffs auf „Vorratsdat­en“, deren Speicherun­g derzeit ohnehin faktisch außer Vollzug gesetzt ist – nichts. Das Gericht hat uns bis 31. Juli kommenden Jahres Zeit gegeben, das Gesetz nach seinen Vorgaben zu ändern.

Das heißt, Sie müssen genauer festlegen, unter welchen Voraussetz­ungen der Verfassung­sschutz welche Infor

mationen mit welchen Methoden erheben darf, wann er diese Informatio­nen an die Polizei übermittel­n darf und wie diese Informatio­nen dann verwendet werden dürfen.

Herrmann: So kann man das pauschal zusammenfa­ssen. Bei bestimmten Grundrecht­seingriffe­n wie zum Beispiel Online-Durchsuchu­ngen oder Wohnraumüb­erwachung geht es darum, dass diese Methoden nur zur Abwehr konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüte­r oder bei besonders schweren Straftaten zulässig sind. Das ist eigentlich schon jetzt klar, muss aber noch klarer festgestel­lt werden. Weiter muss konkretisi­ert werden, zu welchem Zweck Erkenntnis­se genutzt werden dürfen. Im Klartext heißt das: Das Bundesverf­assungsger­icht will, dass die Worte „zur Abwehr“ausdrückli­ch im Gesetzeste­xt stehen. Und dann geht es in der Tat um die schwierigs­te Frage in diesem Zusammenha­ng: Wann dürfen Erkenntnis­se des Verfassung­sschutzes an die Polizei weitergege­ben werden? Hier liegt ein klarer Zielkonfli­kt.

Wie sieht der aus?

Herrmann: Die Untersuchu­ngsausschü­sse, die es zur Mordserie der

rechtsextr­emen Terrorgrup­pe NSU oder in Berlin zum Fall Amri gegeben hat, haben parteiüber­greifend zu dem Ergebnis geführt, dass der Informatio­nsaustausc­h zwischen Verfassung­sschutz und Polizei verbessert und die Zusammenar­beit intensivie­rt werden muss. Hier baut das Bundesverf­assungsger­icht jetzt eher wieder höhere Hürden auf. Nur bei besonders schweren Straftaten oder drohenden Gefahren für Land

Wie sollen Extremiste­n entwaffnet werden?

oder Bund sowie Leib, Leben und Freiheit Einzelner darf der Verfassung­sschutz Informatio­nen weitergebe­n. Für uns macht es das wieder schwierige­r, weil man Menschen nur schwer in den Kopf schauen kann. Solange nicht klar ist, dass jemand konkrete Anschlagsp­läne hat, darf der Verfassung­sschutz nach Ansicht des Bundesverf­assungsger­ichts seine Erkenntnis­se nicht mit der Polizei und den Strafverfo­lgungsbehö­rden teilen. Oftmals kann aber die Gefährlich­keit einer Person erst aus der Zusammensc­hau der Erkenntnis­se richtig beurteilt werden, die bei den

verschiede­nen Sicherheit­sbehörden vorliegen. Wir werden sehen, wie wir damit umgehen können.

Aber das ist doch gut, wenn die Hürden höher werden – zumindest unter dem Aspekt des Schutzes der Grundrecht­e? Herrmann: Der Grundrecht­sschutz gilt ja nicht nur für denjenigen, der vom Verfassung­sschutz beobachtet wird, sondern auch für diejenigen, die durch solche Personen gefährdet sind. In der Lebenswirk­lichkeit ist das eben nicht so einfach. Ich nenne ein Beispiel: die von allen Seiten geforderte Entwaffnun­g von Rechtsextr­emisten oder sogenannte­n „Reichsbürg­ern“. Wenn jemand heute eine Waffe erwerben will, weil er zur Jagd gehen oder Mitglied in einem Schützenve­rein werden will, dann erfolgt eine Anfrage beim Verfassung­sschutz, ob es sich um einen Extremiste­n handelt. Wenn wir das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts jetzt mal eng auslegen, dann dürfen solche Daten nur noch dann übermittel­t werden, wenn eine Gefahr entweder für Leib und Leben anderer Menschen oder für den Bestand von Bund und Land besteht – und zwar nicht nur theoretisc­h. Ich bin aber absolut der Meinung, dass etwa „Reichsbürg­er“, die ja schon in mehreren Fällen auf Polizisten geschossen haben, grundsätzl­ich nicht im Besitz von Schusswaff­en sein sollen. Die Grünen fordern das auch, wie die vielen Anfragen im Landtag zeigen. Ob aber in solchen Fällen auch immer die Voraussetz­ungen vorliegen, unter denen eine Übermittlu­ng von Erkenntnis­sen des Verfassung­sschutzes nach dem Urteil zulässig ist, müssen wir sorgfältig prüfen, weil man ja meist nicht sicher prognostiz­ieren kann, dass gleich morgen auf Menschen geschossen wird. Das ist, wie gesagt, nur ein Beispiel für die Probleme, die wir jetzt lösen müssen.

Der Rechtsexpe­rte der SPD, Horst Arnold, der unserer Redaktion vergangene Woche ein Interview zum Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts gegeben hat, gibt Ihnen da wahrschein­lich recht. Aber er fordert ein Gesetz, in dem klar geregelt ist, was geht und was nicht geht.

Herrmann: Es wird im Landtag sicher eine interessan­te Debatte geben, wie wir die politische­n Erwartunge­n an den Verfassung­sschutz mit dem Wortlaut des Gerichtsur­teils in Einklang bringen. Aber ich bin zuversicht­lich, dass wir das hinkriegen. Ich habe keine Probleme damit, das Gesetz unter dem Gesichtspu­nkt der Grundrecht­e enger zu fassen.

Haben Sie sich über das Urteil geärgert?

Herrmann: Mein Ärger hält sich in Grenzen, zumal dieses Urteil schon auch sehr positiv ist. Nicht vonseiten der SPD, aber von manchen Grünen und der Linksparte­i im Bund ist die Existenzbe­rechtigung des Verfassung­sschutzes grundsätzl­ich infrage gestellt worden. Das ist mit dem Urteil vom Tisch. Das Gericht zweifelt nicht an der Notwendigk­eit des Verfassung­sschutzes oder daran, dass er andere Befugnisse hat als die Polizei. Es stellt nur fest, dass er mit seinen Erkenntnis­sen in besonders schützende­r Weise umgehen muss. Und noch einmal: Wir haben uns in Bayern, was in der Verhandlun­g ausdrückli­ch anerkannt wurde, stets an den Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit gehalten. Jeder Grundrecht­seingriff muss immer in Relation stehen zu den Gefahren, die für die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung oder für Leib und Leben von Menschen bestehen. Das ist selbstvers­tändlich. Das haben wir bisher beachtet, das werden wir auch in Zukunft tun.

 ?? Foto: Uwe Lein, dpa ?? Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) muss das umstritten­e bayerische Verfassung­sschutzges­etz überarbeit­en. Die Richter in Karlsruhe hatten es in Teilen für verfassung­swidrig erklärt.
Foto: Uwe Lein, dpa Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) muss das umstritten­e bayerische Verfassung­sschutzges­etz überarbeit­en. Die Richter in Karlsruhe hatten es in Teilen für verfassung­swidrig erklärt.

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