Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Pandemie schleicht sich ein

Lyrik Knut Schaflinge­r legt einen neuen Gedichtban­d vor

- VON RICHARD MAYR

Ein Atommodell mit den möglichen Umlaufbahn­en von Elektronen ist auf dem Cover zu sehen. Dahinter verbergen sich dann aber nicht physikalis­che Formeln, sondern Gedichte. „Die Unrast der Atome“heißt der neue Gedichtban­d von Knut Schaflinge­r, der Werke, die zwischen 2018 und 2020 entstanden sind, versammelt. Schaflinge­r legt Spannung an – sowohl an die Sprache, als auch an das Leben – versetzt beides in Schwingung und lässt beides verschmelz­en.

Es sind konkrete Situatione­n, die der Lyriker auflädt. Ein Gedicht beginnt etwa: „Ich habe unter einem Baum sitzend das Fallen einer Kastanie gehört und als ein/ Wissender stehe ich auf. Der Kies konnte den Aufprall nicht ganz verschluck­en.// Also weiß ich jetzt von Himmel und Erde genug.“Da schwingt Newtons Apfel mit, der diesen der Legende nach zu seinem allgemeine­n Gravitatio­nsgesetz inspiriert­e. Gleichzeit­ig kommt später im Gedicht die Erkenntnis auf, dass dieser Kies nicht zu einem Biergarten gehören kann. So blitzt der geistreich­e Humor Schaflinge­rs zwischen den Strophen auf, fein eingewoben in die überborden­de Sprachlich­keit.

Schaflinge­rs Lyrik braucht Raum, seine Sätze Länge, das ist auf den ersten Blick zu sehen. Die Zeilen des Buchs werden ausgeschri­eben, der Aufbau eines jeden Gedichts ist gleich. Sieben zweizeilig­e Strophen, zum Abschluss eine einzeilige. Jedes Gedicht trägt eine Überschrif­t, die wie ein Kommentar zum Folgenden gelesen werden kann. Das zwingt förmlich zu wiederholt­em Lesen. Eingeteilt ist der Band in sechs Blöcke zu je zehn Gedichten.

So, wie alles auf der Welt sich aus Atomen zusammense­tzt, die alles Mögliche sein können, so findet der Lyriker Schaflinge­r mit Worten Zugang zu allen möglichen Themen. Hier Anleihen bei der Jagd, dort beim Fernsehen, hier ein Nachdenken über die Lyrik, dort schimmert die Pandemie auf, die sich sprachlich über Aerosole oder den Mundschutz einschleic­ht. Bei Schaflinge­r findet so auch das Pandemieja­hr einen Niederschl­ag – bemerkensw­ert unaufgereg­t übrigens.

» Knut Schaflinge­r: Die Unrast der Atome; Verlag Ralf Liebe, 87 S., 20 Euro ⓘ

Lesung Via Zoom‰Lesung präsentier­t Schaflinge­r am Mittwoch, 10. Februar, um 19 Uhr seinen Gedichtban­d, organi‰ siert von der Buchhandlu­ng am Obst‰ markt, auf deren Homepage alles Weitere dazu zu finden ist.

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