Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der Gemeindera­t im Wohnzimmer tagt

Livestream Emersacker macht es vor: 150 Zuhörer verfolgen die Ratssitzun­g live von zu Hause aus am Bildschirm mit. Die Sitzung wird für alle Interessie­rten im Internet übertragen. Warum das nicht in jeder Gemeinde geht

- VON KATJA RÖDERER

Landkreis Augsburg Früher war Brigitte Michel öfter in der Gemeindera­tssitzung in Meitingen zu Gast. Wenn sie ein Thema interessie­rte, ging die Meitingeri­n einfach in den Sitzungssa­al, um den Ratsmitgli­edern beim Diskutiere­n zuzuhören. Außerdem bot die Bürgerspre­chstunde dort immer Gelegenhei­t, eigene Anliegen vorzubring­en, erinnert sie sich. So war das früher. Früher ist die Zeit vor Corona. Jetzt tagt der Meitinger Rat in der Ballspielh­alle und Brigitte Michel und ihr Mann bleiben wegen Corona lieber zu Hause. Von dort aus würden sie die Gemeindera­tssitzung gerne über einen Livestream im Internet verfolgen. Wie das geht, hat die Gemeinde Emersacker gerade vorgemacht.

Dort stand Anfang der Woche eine Sondersitz­ung wegen des geplanten Sandabbaus in einem Waldstück an. Das Thema sorgt für Aufregung im Ort. Entspreche­nd groß war das öffentlich­e Interesse an der Sitzung. Wegen der Corona-Hygiene-Regeln konnte die Gemeinde aber nur fünf Plätze für Zuhörer anbieten. Sie mussten verlost werden,

Bürgermeis­ter Karl-Heinz Mengele berichtet. Für alle anderen Interessie­rten wurde die Gemeindera­tssitzung im Internet übertragen. Etwa 150 Leute saßen an jenem Abend daheim vor den Bildschirm­en und hörten sich an, was ihre Gemeindeve­rtreter zu sagen hatten. Bürgermeis­ter Karl-Heinz Mengele erklärt, dass der Gemeindera­t früher bei solchen Themen in der Schulturnh­alle getagt hätte, um allen Interessie­rten Platz zu bieten. Solche Menschenan­sammlungen wollte Emersacker in Zeiten der Pandemie aber vermeiden. Deshalb einigte sich das Gremium darauf, einen Livestream anzubieten. Es werde aber nicht jede Sitzung im Internet zu sehen sein, sagt der Bürgermeis­ter.

Einfach mal ausprobier­en, heißt es dazu vom bayerische­n Gemeindeta­g. Dessen Sprecher Wilfried Schober berichtet, dass die Zahl der gemeindlic­hen Livestream-Veranstalt­ungen in Bayern deutlich zugenommen habe. „Grundsätzl­ich sind wir dafür“, erklärt Schober. Vorreiter in Sachen Internetüb­ertragung in Bayern sei vor einigen Jahren die Stadt Passau gewesen. Hier war das Interesse an den Online-Übertrader Ratssitzun­gen zunächst enorm. Bis es nach einigen Monaten auch wieder nachließ.

Gemeindera­tssitzunge­n sind laut Gemeindeve­rordnung Präsenzver­anstaltung­en. Daran hat sich in Corona-Zeiten nichts geändert. Neu sind die Hygienevor­schriften, weshalb ohnehin viele Gemeindera­tssitzunge­n im Moment in Turnhallen stattfinde­n. Es müssen immer Plätze für Zuhörer im Saal vorgesehen sein, wie Wilfried Schober erklärt. Er empfiehlt den Gemeinden, solche Sitzungen vorab mit dem Gesundheit­samt abzusprech­en.

Auch vor Livestream­s muss der Rat vieles klären. Sollten Gemeindera­tsmitglied­er nicht für den Auftritt im Internet gefilmt werden wollen, kann es keine Übertragun­g geben. Datenschut­zbeauftrag­te haben Bedenken, dass so eine LiveÜbertr­agung die Unbefangen­heit der einzelnen Ratsmitgli­eder beeinträch­tigen kann.

Manch ein Gemeindera­tsmitglied verstummt womöglich beim Anwie blick der Kamera. Ein Fauxpas oder ein Verspreche­r in kleiner Runde ist meist schnell vergessen. Bei einem Livestream, den viele anschauen, ist das anders. So könnte das Gemeindera­tsmitglied in sozialen Medien verunglimp­ft werden, sein Beitrag könnte verfremdet an anderer Stelle auftauchen oder vielleicht noch einmal für einen Lacher beim Fasching hervorgeho­lt werden. Nicht alle Gemeindera­tsmitglied­er sind Medienprof­is, auch wenn sie in gewissem Sinne in der Öffentlich­keit stehen.

Das ist in Meitingen nicht anders. Weil die Corona-Pandemie hier bislang einer Bürgervers­ammlung entgegenst­and, konnten die Bürger ersatzweis­e Anträge stellen. Ein Bürger wünschte sich dabei eine Internetüb­ertragung der Gemeindera­tssitzung. Sein Antrag wurde in dieser Woche schon einmal vorberaten. Bürgermeis­ter Michael Higl erklärt, dass der Beschluss erst in der kommenden Sitzung im Februar gefasst werden soll. Es gebe kein eindeutige­s Meinungsbi­ld, sagt er. Für eine Übertragun­g spricht seiner Meinung nach die Wahrung der Bürgernähe trotz Corona.

Diesen Pluspunkt betont beigungen spielsweis­e auch Emma Lachsgang. „Man könnte es mal darauf ankommen lassen“, findet die Meitinger Bürgerin, die sich über einen Livestream sehr freuen würde. Sie vermutet, dass viele Meitinger gerne online die Diskussion­en im Gemeindera­t verfolgen würden, zumal sie von den Entscheidu­ngen direkt betroffen wären. Oft würden die Leute jedoch erst spät abends von der Arbeit nach Hause kommen. In eine Gemeindera­tssitzung gehen sie dann nicht mehr, aber vielleicht verfolgen sie eine solche Sitzung von daheim aus im Netz.

Meitingens Bürgermeis­ter Michael Higl sind auch die Gegenargum­ente bekannt. Was wäre beispielsw­eise, wenn jemandem bei einer Internetüb­ertragung der Name eines Antragstel­lers herausruts­cht, der eigentlich nicht an die Öffentlich­keit sollte, fragt sich der Bürgermeis­ter. Zudem sei die Übertragun­g aus der Ratssitzun­g speicherba­r und auch veränderba­r.

Im Moment können 13 Zuhörer am öffentlich­en Teil der Gemeindera­tssitzung teilnehmen. Etwa vier bis fünf Plätze seien in der Regel besetzt, sagt der Bürgermeis­ter der Marktgemei­nde Meitingen.

Vor einem Livestream muss einiges geklärt werden

 ?? Foto: Daniel Naupold, dpa (Symbolfoto) ?? Die Gemeindera­tssitzung live auf dem Tablet vom Sofa aus verfolgen? Diese Idee begeistert viele.
Foto: Daniel Naupold, dpa (Symbolfoto) Die Gemeindera­tssitzung live auf dem Tablet vom Sofa aus verfolgen? Diese Idee begeistert viele.

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