Augsburger Allgemeine (Land West)
Über 1000 Einkaufshelfer warten auf ihren Einsatz
Soziales Viele Augsburger wollen ihren Mitmenschen in der Corona-Krise beistehen. Doch die unterschiedlichen Angebote werden bislang kaum angenommen. Woran das liegen könnte
Mehr als 1000 Ehrenamtliche, die in der Coronakrise für ihre Mitmenschen einkaufen oder Botengänge erledigen wollen, haben sich in den vergangenen Tagen beim Freiwilligenzentrum gemeldet. Die meisten von ihnen warten aber noch auf ihren ersten Einsatz. Denn auf der anderen Seite haben bisher gerade einmal 60 Personen signalisiert, dass sie eine Alltagshilfe benötigen.
Stefanie Wachter, Mitarbeiterin im Freiwilligenzentrum, glaubt, dass der Bedarf im Lauf der nächsten Zeit noch steigen wird – auch weil sich der kostenlose Service herumspricht. Gleichwohl ist sie sich bewusst, dass die Hilfsangebote viele Hilfsbedürftige mangels Kontakt zur Außenwelt gar nicht erreichen. „Wir schicken deshalb unsere Freiwilligen auch in die Wohnquartiere mit Zetteln, die sie an die Tür pinnen oder im Hausgang befestigen.“
Vielleicht spielt auch die Angst vor Betrügern eine Rolle, dass die Augsburger bislang so zurückhaltend auf fremde Hilfe reagieren. Laut Wachter werden die Ehrenamtlichen gut auf ihre Aufgabe vorbereitet. Nach einer ersten Registrierung müssten sie in einer Mail eine Reihe von Fragen beantworten, vergleichbar mit einer Selbstauskunft. Wer sich hier durchbeiße, der meine es ernst. „Dabei trennt sich die Spreu vom Weizen.“
In Augsburg stehen noch weit mehr Helfer in den Startlöchern als die 1000 Ehrenamtlichen, die derzeit beim Freiwilligenzentrum registriert sind. Pfarreien klinken sich hier ebenso ein wie Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen. Der katholische Pfarrer Bernd Weidner, der für vier Gemeinden in Oberhausen und Bärenkeller zuständig ist, kann auf eine Schar von Ehrenamtlichen zurückgreifen. „Wir haben eine ganze Reihe von Freiwilligen, die helfen wollen, aber nur wenige, die die Hilfe in Anspruch nehmen“, stellt auch er fest. Weidner hat den Eindruck, dass Dienstleistungen häufig in der Familie oder der direkten Nachbarschaft organisiert werden. „Das ist ein gutes Zeichen.“
Und wenn diese Kontakte fehlen, ist beispielsweise auch der Stadtjugendring einsatzbereit. Da die Arbeit in den Jugendzentren aufgrund von Corona weitgehend brachliegt, haben die Mitarbeiter jetzt Kapazitäten für andere Aufgaben. Sie bie
ten ab sofort in der Stadtmitte sowie in Oberhausen, Herrenbach, Pfersee, Kriegshaber und Lechhausen Nachbarschaftshilfe an. Laut SJRGeschäftsführer Helmut Jesske umfasst dieser Service Einkäufe, Botengänge etwa zur Post und in die Apotheke oder auch Gassirunden mit dem Hund. Angesprochen fühlen sollen sich Personen, die der Risikogruppe angehören – etwa Senioren, Menschen mit Vorerkrankungen oder Personen in Quarantäne. „Es nehmen nur Mitarbeitende an der Nachbarschaftshilfe teil, die keiner Risikogruppe angehören. Zudem sind alle Beteiligten über die Hygieneund Schutzmaßnahmen infor
miert worden“, versichert Jesske. Selbstverständlich sei die Nachbarschaftshilfe kostenlos – nur die Einkäufe müssten bezahlt werden. Details können die Kunden mit den Jugendhäusern direkt regeln.
Senioren oder auch jüngere Personen brauchen vielleicht nicht nur einen Einkaufshelfer. Weil die ohnehin oft spärlichen Begegnungen mit anderen Menschen durch die Ausgangsbeschränkungen jetzt völlig weggebrochen sind, fällt ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf. „Manche sind mit der Situation überfordert und brauchen dringend jemanden zum Reden“, weiß Stefanie Wachter. Diesen Menschen will
das Freiwilligenzentrum mit der neuen Aktion „Hätten Sie gerne Besuch am Telefon?“einen kleinen Lichtblick bieten. Anders als etwa die Telefonseelsorge handle es sich dabei um ein Angebot, das lieb gewordene Gewohnheiten wie den Kaffeeklatsch ersetzen soll.
Kaffeeklatsch, Gehirnjogging, Kino oder Gymnastik – das sind alles Angebote, bei denen die Senioren in der Betreuten Wohnanlage in der Erna-Wachter-Straße im Textilviertel bis vor Kurzem in geselliger Runde zusammenkamen. Sie fallen nun bis auf Weiteres alle aus. Betreuerin Sabine Lage vom ArbeiterSamariter-Bund hat sich deshalb eine Alternative überlegt. Täglich wirft sie in jeden der rund 40 Briefkästen einen Zettel mit aufmunternden Worten oder Bildern sowie Rätseln. Tags darauf gibt es die Auflösung zusammen mit neuen Aufgaben. Damit wolle sie dazu beitragen, dass die Bewohner beschäftigt sind und sich nicht alleine gelassen fühlen. Lage würde für ihre Senioren auch Einkäufe erledigen. Doch bislang nehme dies niemand in Anspruch: „Die Rüstigen wollen das selbst erledigen und die anderen sind in ein Hilfssystem mit Sozialdienst und Angehörigen eingebunden, das bereits vor Corona bestand“, weiß die Betreuungskraft.