Augsburger Allgemeine (Land West)

Endlich wieder Märchenzei­t!

Gesammelte Erzählunge­n von Michael Köhlmeier, illustrier­t von Nikolaus Heidelbach – ein Vergnügen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es war einmal ein österreich­ischer Autor, der in einer Zeit lebte, in der die Menschen geradezu verrückt waren nach etwas, das sich Fantasy nannte. Fantasy handelte von erfundenen Welten, in denen alles Erdenklich­e und alles Mögliche passieren konnte. Und weil die technische­n Fähigkeite­n jener Zeit so fortgeschr­itten waren, dass die Menschen mit Maschinen auch noch fantastisc­he bewegte Bilder schaffen konnten, zog diese Fantasy alle in Bann.

Der österreich­ische Autor aber erinnerte sich als einer der wenigen noch daran, dass das eigentlich was ganz Altes war. Statt dem neuen Wort Fantasy pflegte er ein altes: Fantasie. Er schrieb etwas, das Märchen hieß. Das gab es zwar schon sehr lange, aber meistens kannten die Menschen die Geschichte­n bloß noch, wenn sie auch schon zu Fantasy geworden waren. Der Unterschie­d war: Märchen handelten von den hellen und den dunklen Seiten des Menschsein­s – die Fantasy machte daraus wie aus allem ein Spektakel aus der Maschine.

Zudem hatte der österreich­ische Autor eine zauberhaft­e Fähigkeit, die der neuen Sache irgendwie abhanden gekommen war: Er konnte erzählen! Ihm reichten bloße Wörter, um Bilder zu schaffen, die mehr Leben enthielten als alle technisch erzeugten. Bloß: Wer würde das in jener Zeit noch bemerken, da das vermeintli­ch Einfache, Stille, so leicht übersehen wurde?

Doch der österreich­ische Autor hatte einen Vorteil. Er war durch Anderes bereits bekannt. Und dann rückte jene Jahreszeit

heran, die die Menschen Weihnachts­zeit nannten und in der sie sich am ehesten wieder an alte Märchen erinnerten. In der sie sich manchmal auf das Stille zu besinnen versuchten – vielleicht auch, weil in diesen Wochen alles andere als die frühere Stille herrschte. Der österreich­ische Autor machte es ihnen sogar leichter. Er fand einen ebenso bekannten deutschen Zeichner, der

Bilder zu seinen gesammelte­n Geschichte­n hinzufügte. Wer es nun nicht schaffte, schafft es wohl nimmermehr …

Der Autor heißt Michael Köhlmeier, der Illustrato­r Nikolaus Heidelbach, der entstanden­e Prachtband „Die Märchen“ist ganze 800 Seiten stark. Über die Jahre hat der Autor nicht nur mit großen wie kleinen Romanen zu Reisen durch die Zeitgeschi­chte geladen und mit freien Nacherzähl­ungen durch klassische Mythen und biblische Überliefer­ungen geführt – er hat sich auch immer wieder als Meister des Märchens bewiesen. 151 Erzählunge­n sind es nun, die Köhlmeier zum

Fest serviert – und man kann aufschlage­n, lesen und vorlesen, wo man will: Immer ist es ein wundervoll eigener Ton, der neu zu „Jorinde und Joringel“führt, frisch nach Lech zu schönen Frauen und auch zur Weberskatz nach Bamberg. Neckisch sind Begegnunge­n mit Teufel und Gottvater, zauberhaft ruht der Mummelsee, es kreiselt die Wirbelwind­hexe. Immer ein Vergnügen.

Aber keines für die Kleinsten. Für sie gemacht aber wähnen die Menschen in der Zeit der Fantasy oftmals die Märchen. Was für ein Missverstä­ndnis! Insofern hätte ihnen der österreich­ische Autor also etwas aufs Schönste zu lehren. Zudem trifft er hier auf den deutschen Zeichner, dessen bekannte und ausgezeich­nete Werke zwar oft klassische Geschichte­n ergänzt haben – die aber alles andere als kindlich anmuteten …

Das gute Ende der Geschichte jedenfalls: In unserem Weihnachts­Journal wird es Auszüge aus diesem Buch zu lesen und zu sehen geben.

 ?? Fotos: Jan Woitas/Uwe Zucchi, dpa ?? Michael Köhlmeier (links): Die Märchen – mit Illustrati­onen von Nikolaus Heidelbach (rechts). Hanser, 800 Seiten, 58 Euro.
Fotos: Jan Woitas/Uwe Zucchi, dpa Michael Köhlmeier (links): Die Märchen – mit Illustrati­onen von Nikolaus Heidelbach (rechts). Hanser, 800 Seiten, 58 Euro.

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