Augsburger Allgemeine (Land West)
„Ich habe niemals eine Meinung gehabt“
Kurz vor seiner Ehrung als Literatur-Nobelpreisträger am kommenden Dienstag musste sich Peter Handke noch einmal Fragen stellen bezüglich seiner Haltung im ehemaligen Jugoslawien-Krieg. Er reagierte erneut gereizt
Stockholm Der diesjährige Literaturnobelpreisträger Peter Handke hat bei seinem ersten offiziellen Nobelauftritt in Stockholm erneut gereizt auf Fragen zu seiner umstrittenen Haltung im Jugoslawien-Krieg reagiert. Er ziehe das mit Fäkalien verzierte Toilettenpapier, das ihm jemand anonym geschickt habe, den „leeren Fragen“von Journalisten vor, erklärte der österreichische Schriftsteller am Freitag auf einer Pressekonferenz in der Schwedischen Akademie. „Ich schreibe nicht mit Meinungen. Ich habe niemals eine Meinung gehabt, ich hasse Meinungen“, sagte er auf die Frage, ob er seine Ansichten zum Balkankrieg geändert habe. Er möge Literatur, nicht Meinungen.
Handke, der am Freitag 77 Jahre alt wurde, hatte sich im Balkankrieg stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milosevic eine Rede. Zur Nobelpreisvergabe Dienstag sind deshalb Proteste gegen Handke in Stockholm geplant. Ebenfalls aus Protest gegen den Literaturnobelpreis für Handke boykottiert ein langjähriges Mitglied der Schwedischen Akademie die diesjährige Nobelwoche. „Peter Handkes Nobelpreis zu feiern, wäre von meiner Seite grobe Heuchelei. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe“, teilte Peter Englund der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter in einer E-Mail mit. Englund wird deshalb diesmal an keinen Feierlichkeiten rund um die Literaturnobelpreisvergabe teilnehmen.
Die Debatte um die Nobelpreisvergabe an Handke hat weit über Schweden hinaus den literarischen Herbst bestimmt. Scharfe Kritik gab es nicht nur von dem aus Bosnien stammenden Schriftsteller Sasa Stanisic, dem diesjährigen Preisträger des Deutschen Buchpreises. Gleichzeitig forderte eine Reihe von Organisationen um die Gesellschaft für bedrohte Völker das Nobelkomitee der Schwedischen Akademie auf, Handke dazu zu bringen, sich öffentlich bei den Opfern des Völkermordes von Srebrenica und Bosnien zu entschuldigen. Wenn er nicht zu einer Entschuldigung bereit sei, solle das Komitee darauf bestehen, dass er auf den Preis verzichte.
Andere Intellektuelle wiederum verstehen nicht, warum der Schriftsteller in diesem Maße an den Pranger gestellt wird. In einem Offenen Brief formulierten in Österreich im November rund 120 Autoren, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Künstler ihr tiefes Unbehagen darüber. Die Kritik an Handke habe „längst den Boden vertretbarer Auseinandersetzungen unter den Füßen verloren“, hieß es dort. „Sie besteht fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen, Verzerrungen und Ähnlichem mehr, sie ist zu einer Anti-Handke-Propaganda verkommen.“
Der Preisträger selbst gab sich mehrfach dünnhäutig, geschwiegen hat er aber nicht. In einem Interview der Zeitung Die Zeit sagte er, es sei um „Gerechtigkeit für Serbien“gegangen. „Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziam ges. Das ist Literatur“, so Handke. Sympathien habe er niemals für Milosevic geäußert. „Ich habe mich keinen Augenblick verbeugt, weder innerlich noch äußerlich.“
Ungeachtet der Debatte um Handke ist die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, 57, hoch erfreut über ihre Auszeichnung: „Ich bin stolz, die 15. Frau zu sein, die den Nobelpreis erhält, 110 Jahre nach der ersten Frau Selma Lagerlöf. Ich bin davon überzeugt, dass ich ihn nicht bekomme, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich Bücher schreibe“, sagte die Preisträgerin am Freitag auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Was ihr bei der Recherche zu ihrem Werk „Die Jakobsbücher“begegnet sei, sei die Tatsache, dass Frauen in der Geschichtsschreibung zu wenig beachtet würden. „Das passiert nicht, weil sie sich nicht beteiligt haben oder nicht aktiv waren, sondern weil das nicht dokumentiert wurde.“Diese Nicht-Dokumentation gehe bis heute weiter. Zur Kontroverse um Handke äußerte sich Tokarczuk nicht.