Augsburger Allgemeine (Land West)

Frau Bundeskanz­lerin, es ist Zeit!

Die Große Koalition schleppt sich wohl doch noch weiter hin, weil alle Angst vor Neuwahlen haben – und Angela Merkel einfach abwartet. So geht es nicht weiter

- gps@augsburger-allgemeine.de VON GREGOR PETER SCHMITZ

In diesen Tagen, da die Große Koalition wieder auf der Intensivst­ation liegt, muss man an einen Umstand erinnern: Angela Merkel ist zu ihrer vierten Amtszeit als Kanzlerin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht zwangsverp­flichtet worden. Sie hat sich beworben.

Sie hat 2016 dafür sogar ganz konkrete Gründe angeführt. In Zeiten des Populismus sei eine weitere Kandidatur alles andere als trivial, gab sie zu bedenken – „weder für das Land, noch für die Partei, noch – ich sage es ganz bewusst in dieser Reihenfolg­e – für mich persönlich.“Merkel spielte damals kokett die eigene Rolle herunter, kein Mensch alleine könne die Dinge in Deutschlan­d, Europa oder der Welt zum Guten wenden. Doch letztlich empfahl sie sich durchaus genau für diese Rolle – nicht bloß als Stabilität­sanker, sondern auch als

Gestalteri­n, in Deutschlan­d, in Europa, in einer Welt im Wandel.

Die Deutschen haben Merkel noch einmal gewählt. Aber weil sie eben ein Verspreche­n abgegeben hat, diese letzten Amtsjahre sinnvoll zu nutzen, ergibt sich für Merkel nun eine Verpflicht­ung: zu erkennen, dass sie diese gestaltend­e Rolle nicht mehr ausfüllen kann.

Wir erleben gerade eine absurde politische Phase, die nicht weniger absurd wird, weil es in anderen Ländern noch absurder zugeht. Aber wir hatten in Deutschlan­d noch nie eine Kanzlerin, die zwar im Amt, aber nicht „in charge“ist. Eine CDU-Parteivors­itzende, die jeden Tag Kanzlerin werden will, aber (fast) jeden Tag Fehler macht. Und einen Koalitions­partner, der am Mitregiere­n verzweifel­t.

In so einer Konstellat­ion kann man Gegenwart verwalten. Diese Große Koalition bewegt rein statistisc­h gesehen nicht so Kleines. Aber man kann keine Zukunft gestalten. Das müssen wir Deutsche gar nicht alleine sagen, das sagen uns auch andere. Die New York Times hat gerade kühl konstatier­t, Merkels

„Zombie-Koalition“wolle einfach nicht sterben.

Was hält diese am Leben? Angst. Die CDU fürchtet Neuwahlen, weil die Grünen dann viel stärker würden. Die SPD-Mandatsträ­ger fürchten sie, weil sie dann (noch) schwächer würden. Und dann ist da noch die Angst vor der AfD.

Natürlich sind Neuwahlen keine gute Option. Aber ist panische

Furcht vor Neuwahlen besser? Es gäbe ja noch viel zu tun, heißt es aus den Volksparte­ien, etwa die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft 2020, da dürfe das Land nicht mitten in der Machtfindu­ng stecken. Doch wer erwartet von dieser Koalition ernsthaft eine visionäre deutsche EU-Präsidents­chaft?

Es ist Zeit für Frau Merkel, sich einzugeste­hen: Sie, der man es in ihrer Uneitelkei­t am ehesten zugetraut hätte, hat ihren Abschied verpatzt. Natürlich ist ihr Platz in der Geschichte sicher. Viele werden dieser Kanzlerin nachtrauer­n, in Deutschlan­d und der Welt.

Aber wenn Merkel wirklich gelegen ist an der Reihenfolg­e von „Land, Partei, Person“, muss sie den Mut finden, einen Neuanfang früher zuzulassen. Sie kann nachlesen, was sie selbst in einem legendären FAZ-Artikel 1999 Helmut Kohl zurief, als junge CDU-Generalin. Da schrieb sie: „Vielleicht ist es nach einem so langen politische­n Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzule­gen, sich völlig aus der Politik zurückzuzi­ehen und den Nachfolger­n, den Jüngeren, das Feld schnell ganz zu überlassen.“Und fügte an die CDU hinzu: „Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtro­ss, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politische­n Gegner aufzunehme­n.“

Angela Merkel schuldet eine Entscheidu­ng: ihrer Partei. Ihrem Land. Und auch sich selbst.

Merkel hat ihren Abschied verpatzt

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