Augsburger Allgemeine (Land West)
Glutenfrei und laktosefrei: Mehr als eine Werbemasche?
Ernährung In den Supermärkten stehen heute viele Ersatzprodukte für Nudeln oder Milch. Sind diese Lebensmittel wirklich gesünder?
Mönchengladbach Glutenfreie Nudeln, laktosefreie Milch – das Geschäft mit „Frei von...“-Lebensmitteln floriert. Klar ist: „Solche Ersatzprodukte sind ein Segen für Zöliakiepatienten, Weizenallergiker und Menschen mit einer Lactoseintoleranz“, sagt Ökotrophologin Sonja Lämmel vom Deutschen Allergieund Asthmabund. „Aber man sollte sie mit Bedacht auswählen.“Denn: Für alle ohne eine Unverträglichkeit seien sie überflüssig. „Frei-von-Lebensmittel werden als eine Art Lifestyle-Argument eingesetzt und als Produkte für jedermann vertrieben und beworben. Das ist falsch“, betont Lämmel.
Ob eine Lebensmittelunverträglichkeit besteht, sollte nie selbst diagnostiziert werden, sondern immer von einem Arzt. Allerdings kann man eine solche Unverträglichkeit nicht medikamentös therapieren. Stattdessen prüft ein Ernährungstherapeut mit einem Symptom-Tagebuch, welche Lebensmittel der Betroffene nicht verträgt. „Oft ist das Weglassen des Lebensmittels mit krankheitsauslösenden Inhaltsstoffen die einzig sinnvolle Therapie“, sagt Ökotrophologin Silke Restemeyer von der Deutsche Gesellschaft für Ernährung.
● Oft kein völliger Verzicht auf Laktose nötig „Bei einer Laktoseunverträglichkeit kann der Körper den natürlichen Milchzucker in einem Lebensmittel nicht spalten“, erklärt Lämmel. Sie ist eine der häufigsten Intoleranzen und führt zu Darmbeschwerden wie Blähungen und Durchfällen. Im Handel werden Produkte dagegen mit „laktosefrei“und einem Sternchen gekennzeichnet, da immer ein Rest-Laktosegehalt besteht. Die Unverträglichkeit ist mengenabhängig: „Nur sehr wenige Personen mit einer Intoleranz müssen komplett auf Lactose verzichten“, berichtet Restemeyer.
Die neuen Produkte sind also nur sinnvoll, wenn die ursprünglichen viel Laktose enthalten – wie Milch und Creme fraiche. „Bei diesen Frei-von-Produkten wurde die Laktose im Vorfeld durch den Zusatz des Enzyms Laktase gespalten. Es entstehen die zwei Einfachzucker Glucose und Galactose, die Milch wird etwas süßer“, erklärt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
● Was es bei glutenfreien Produkten zu beachten gilt Die Zöliakie dagegen ist eine schwere Darmerkrankung, bei der sich Betroffene strikt ohne Gluten, also Klebereiweiß, ernähren müssen. Bei glutenfreiem Brot beispielsweise „werden die gängigen Getreidesorten wie Dinkel oder Weizen rausgenommen, weil sie Gluten enthalten und durch Pseudo-Getreide wie Hirse oder Quinoa ersetzt“, sagt Lämmel. „Aber damit geht der Teig nicht mehr auf, also arbeiten die Hersteller mit Trieb- oder Verdickungsmitteln.“Außerdem haben einige glutenfreie Lebensmittel einen höheren Fettgehalt, während der Anteil an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen geringer ist, sagt Restemeyer. Expertin Lämmel rät: „Ich sage meinen Patienten immer, dass sie nicht eins zu eins auf Ersatzprodukte umstellen, sondern generell weniger Kohlenhydrate zu sich nehmen sollten.“Deswegen ist ein freiwilliger Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel nicht ratsam, wie es in Erfahrungsberichten im Internet oft heißt. „Den Leuten wird eingeredet, dass sie sich mit dem Kauf eines Ersatzproduktes etwas Gutes tun und dass normales Getreide dick oder krank macht. Das kritisieren wir“, sagt Clausen.
● Hype um Ersatzprodukte Laut dem Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner von der TU München haben eine echte Glutenunverträglichkeit nur etwa 0,5 bis ein Prozent der Deutschen. In Frankreich glauben aber schon 30 Prozent, dass sie Gluten nicht vertragen. „Bei uns wird die Zahl ähnlich sein, hier werden ja die gleichen Blogs gelesen und den gleichen Stars zugehört.“
Ähnlich ist es bei laktosefreien Produkten. Das Bundeszentrum für Ernährung zitiert eine Studie, wonach rund 80 Prozent der Käufer von laktosefreien Lebensmitteln keine nachgewiesene Intoleranz haben. Doch hier gibt es noch ein anderes Problem: „Ich kann mir selbst eine Unverträglichkeit heranzüchten“, sagt Lämmel. „Wenn ich meinem Körper längere Zeit keinen Milchzucker gebe, verlernt er, diesen zu spalten.“