Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Jucken in der Nase und die Folgen
Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die fatale Folgen haben. Ein Jucken in der Nase zum Beispiel. Nichts logischer als der Griff zur selbigen. Ungünstig, wenn man dabei auf einem Rennrad sitzt, das sich mit über 50 Stundenkilometern auf eine Kurve zubewegt. Dazu noch eine Windböe von der falschen Seite, und schon passieren schlimme Dinge. Chris Froome hat viermal das schwerste Radrennen der Welt gewonnen. Immer wieder hat er dabei Dopinganschuldigungen getrotzt. Für die anstehenden großen Rundfahrten gehörte er wieder zum engsten Favoritenkreis. Bis, ja bis ihm diese Mauer im französischen Roanne in die Quere kam.
Was nutzte es in diesem Moment, dass eine ganze Armada von Rechtsanwälten und Wissenschaftlern im vergangenen Jahr Froomes auffällig hohe Salbutamolwerte erst kleinrechnete und dann dafür sorgte, dass der Grenzwert hoch gesetzt wurde ...? Schwuppdiwupp wurde Froome freigesprochen und durfte kurzfristig doch noch an der Tour de France teilnehmen. Salbutamol ist übrigens das Asthmamittel mit der höchsten anabolen Nebenwirkung.
Häme ist hier aber fehl am Platz. Froome liegt mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus. Ihm ist eine schnelle Genesung zu wünschen. Damit steht aber auch fest, dass einer der umstrittensten Radprofis im Feld bei der diesjährigen Tour de France fehlen wird. Sportlich ist es ein Verlust, wenn einer der Besten nicht am Start steht. In der Außendarstellung des krisengebeutelten Radsports kann man zu einer anderen Einschätzung gelangen, auch wenn der Grund für die Absage ein derart unglücklicher ist. Zu sehr hat Froome im vergangenen Jahr die Anti-Doping-Regeln in alle Richtungen gedehnt und für sich zurechtgebogen, als dass er frei von Verdacht hätte fahren können.
Davon abgesehen zeigt der Unfall einmal mehr, welch Risiko die Pedaleure eingehen. Stürze gehören zum Geschäft. Meistens enden sie einigermaßen glimpflich mit Schürfwunden und Prellungen – allzu oft aber auch auf dem Operationstisch. Es ist eine alte Weisheit, dass nicht zwingend der beste Kletterer gewinnt, sondern der beste Abfahrer. Also der, der das größte Risiko eingeht und heil unten ankommt. Die Organisatoren des Giro d’Italia wollten zum 100. Geburtstag im Jahr 2017 sogar eine Sonderwertung für den besten Abfahrer einführen, verwarfen die Idee aber wieder nach heftigen Protesten aus dem Fahrerlager. Froome ist ein herausragender Abfahrer. Aber selbst ihn kann eine Kleinigkeit aus der Bahn werfen. Ein Jucken in der Nase zum Beispiel.