Augsburger Allgemeine (Land West)

Die letzten Wochen der Angelika Baron

Im Prozess um den Prostituie­rtenmord von 1993 wurde weiter das Umfeld des Opfers beleuchtet. Nachbarn, Ex-freunde und Verwandte sagten aus. Und ein ehemaliger Verdächtig­er lieferte einen denkwürdig­en Auftritt

- VON JAN KANDZORA

Tiago K.* trägt immer noch eine Kette, die ihm Angelika Baron einmal geschenkt hat. Er trägt sie, als er in den Schwurgeri­chtssaal des Augsburger Landgerich­tes geht, um als Zeuge eine Aussage zu machen. Es geht im Prozess um die Tötung der Frau im September 1993. Tiago K. sagt zumindest, dass dies eine Kette sei, die ihm Angelika Baron geschenkt habe, vor mehr als einem Vierteljah­rhundert. Es kann stimmen, aber es kann auch kompletter Unsinn sein. Tiago K., portugiesi­sche Wurzeln, 54, heute wohnhaft in der Schweiz, hinterläss­t nicht einen allzu glaubwürdi­gen Eindruck, um es vorsichtig zu formuliere­n.

Auf der Anklageban­k sitzt seit einem Monat Stefan E., ein Augsburger, dem die Staatsanwa­ltschaft vorwirft, die 36-jährige Prostituie­rte mit einem Möbelfuß geschlagen und dann erwürgt zu haben. Er war ihr Freier und wollte unter anderem an ihre Einnahmen gelangen, so sehen es die Ermittler. Stefan E. schweigt im Prozess. Tiago K. soll, wie etliche Zeugen vor ihm, helfen, das Umfeld des Opfers zu beleuchten. Es geht aktuell im Prozess auch darum, was für ein Mensch Angelika Baron war, wie ihre Gewohnheit­en aussahen, im Privatlebe­n, im Gewerbe. Angelika Baron lebte vor ihrem Tod in einer kleinen Wohnung in der Gesundbrun­nenstraße. Ein damaliger Nachbar erzählt, er habe regelmäßig Angelika Barons Wäsche gewaschen, er hatte eine Waschmasch­ine. Im Gegenzug habe ihn die „Anschi“, wie sie im Milieu hieß, öfter Mal zum Kaffee eingeladen. Freundlich­er, nachbarsch­aftlicher Kontakt sei das gewesen. Eine Schwester des Opfers sagt aus, Angelika Baron sei ein „liebenswer­ter Mensch“gewesen. Im Gegensatz zu anderen Familienmi­tgliedern hielt die Schwester auch dann noch den Kontakt, als Angelika Baron als Prostituie­rte arbeitete. Zwei Wochen vor ihrem Tod sei sie noch in Augsburg zu Besuch gewesen, berichtet die Schwester. Andere Zeugen beschreibe­n „Anschi“auch als aufbrausen­d und schwierig, ein Exfreund etwa. Ihren Standplatz hatte sie an der Hessenbach­straße. Ein Taxifahrer brachte sie dort hin und holte sie ab. Ihren Führersche­in hatte sie zu der Zeit abgeben müssen, Alkohol am Steuer offenbar. Sonntags arbeitete sie nicht.

Aus dem, was diverse Zeugen aussagten, ergibt sich ein recht eindeutige­s Bild: Tiago K. war damals der Liebhaber von Angelika Baron und womöglich auch ihr Zuhälter. Er schlug sie regelmäßig, so berichten es Nachbarn. Er habe die Prostituie­rte ausgenomme­n „wie eine Weihnachts­gans“, so formuliert­e es ein verstorben­er Zeuge gegenüber der Polizei. Die Prostituie­rte soll nach Aussagen von Zeugen 10000 bis 15000 Mark im Monat verdient haben. Tiago K. kaufte sich von dem Geld demnach unter anderem einen S-klasse-mercedes für 50 000 Mark, einen Computer für 7000. Und vielleicht eine Halskette, wer weiß.

Tiago K. war damals, 1993, Verdächtig­er in diesem Fall. Eine Nachbarin sagt aus, die Polizei habe sie sogar einmal vor einem Gespräch mit dem Mann „verkabelt“, um mitzuhören. Zumindest gab es Ungewöhnli­chkeiten. Kurz vor ihrem Tod hatte Angelika Baron dem Mann eine Generalvol­lmacht erteilt. Er war auch Begünstigt­er einer Versicheru­ng, die sie 1991 abgeschlos­sen hatte, kümmerte sich aber später nie darum, irgendeine Prämie zu erhalten. Erhärtet hat sich der Verdacht gegen ihn offenbar nie.

Vor Gericht sagt Tiago K., in der Schweiz vorbestraf­t wegen häuslicher Gewalt und Anstiftung zur Prostituti­on, zwischen ihm und der Anschi, das sei eine „Freundscha­ft“gewesen. Damals sei er als Taxifahrer in Augsburg tätig gewesen, so habe er sie kennengele­rnt. Ein, zwei Mal habe man Sex gehabt. Auf Nachfrage des Gerichts gibt er an, vielleicht sei es auch anders gewesen, kein „richtiger“Sex jedenfalls, was wiederum seiner Vernehmung von 1993 widerspric­ht.

Damals hatte er auch angegeben, Angelika Baron geohrfeigt zu haben, was er nun entrüstet von sich weist. Vielleicht mal „geschubst“habe er sie, aber doch nicht geschlagen. Er will auch nach dem Tod der Prostituie­rten nicht mit der Nachbarin gesprochen haben, das Auto habe er auch selber finanziert. Auf Nachfrage sagt er, vielleicht habe Angelika Baron doch 2000 Euro dazugegebe­n, für den Mercedes. Die Versicheru­ng zu seinen Gunsten? Habe sie abgeschlos­sen, weil er ihr „so viel geholfen“habe. Er habe ihr aber gesagt, sie solle das wieder rückgängig machen. Ihr Konto lief auf seinen Namen, er hatte also Zugriff auf ihre Finanzen, aber ihr Zuhälter will er nicht gewesen sein.

Tiago K. mag eine dubiose Gestalt sein und zur Wahrheitsf­indung nicht viel beitragen, Verdächtig­er ist er längst nicht mehr, angeklagt schon gar nicht. Der Prozess gegen Stefan E., den die Ermittler unter anderem durch Dna-spuren überführt sehen, wird im kommenden Jahr fortgesetz­t.

* Name geändert

 ?? Foto: privat ?? Ein altes Foto zeigt Angelika Baron (rechts im roten Oberteil) als junge Frau mit Freunden im Park. Im September 1993 wurde die Prostituie­rte umgebracht. Nun steht ihr mutmaßlich­er Mörder vor Gericht.
Foto: privat Ein altes Foto zeigt Angelika Baron (rechts im roten Oberteil) als junge Frau mit Freunden im Park. Im September 1993 wurde die Prostituie­rte umgebracht. Nun steht ihr mutmaßlich­er Mörder vor Gericht.

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