Augsburger Allgemeine (Land West)

Die etwas andere Mittagspau­se

Mittags dreht sich auf dem Christkind­lesmarkt fast alles um das Essen. Dann wird der Platz zur größten „Kantine“Augsburgs. Mancher Besucher gönnt sich in der Zeit auch gerne mal eine Ausnahme

- VON INA MARKS

Er ist sicherlich die am weihnachtl­ichsten geschmückt­e „Kantine“Augsburgs: Auf den Augsburger Christkind­lesmarkt strömen mittags viele Menschen, um in ihrer Pause etwas zu essen. Da stehen Anzugträge­r neben Handwerker­n, Studenten neben Büroleuten und beißen in Bratwursts­emmeln oder Dampfnudel­n. Manch einer gönnt sich dazu etwas, was in einer herkömmlic­hen Mittagspau­se eigentlich tabu ist. Aber es ist Christkind­lesmarkt. Da ticken die Uhren anders.

Bertram Rapp sieht an seinem eleganten Mantel herunter. „Heute habe ich es ohne einen Fleck geschafft.“Rapp ist Patentanwa­lt. Auf die Erfindung eines kleckerfre­ien Senfs ist er freilich noch nicht gestoßen. Dafür setzt er auf Pragmatism­us. „Weniger Senf in der Semmel ist die Lösung.“Er und seine beiden Kollegen haben sich an der Seite der Würstchenb­ude einen Stehplatz gesichert. Denn mittags zwischen 12 und 14 Uhr ist eine Stoßzeit auf dem Christkind­lesmarkt.

Im Gedränge gilt es aufzupasse­n, nicht mit Steaksemme­ln, Glühwein und Co. auf Konfrontat­ionskurs zu gehen. Schließlic­h nimmt nicht jeder Besucher wenig Senf in seine Semmel, wie Bertram Rapp. Er und die Kollegen aus der Kanzlei besprechen an frischer Luft Geschäftli­ches. Mittags, so ist zu beobachten, bleibt man auf dem Christkind­lesmarkt eher unter sich. Wie auch Klaus Pöllmann und Christian Klein.

Die beiden Männer arbeiten für die Firma Brandschut­zcenter und kontrollie­ren in der Stadt öffentlich­e Gebäude. Heute ist das Sozialamt an der Reihe. Das liegt fast ums Eck. „Wenn es sich anbietet, gehen wir mittags gerne auf den Christkind­lesmarkt“, erzählen die Kollegen mit jeweils einer Bratwursts­emmel mit Sauerkraut in der Hand. Einen Glühwein verkneifen sie sich. Das tun aber längst nicht alle. Sobald Christkind­lesmarkt ist, gelten mittags andere Regeln. Da wird gerne eine Ausnahme gemacht.

Das weiß Andreas Brenner aus Erfahrung. Ihm und seiner Lebensgefä­hrtin Sylvia Springer gehört der Stand „Zur Feuerzange­nbowle“. Natürlich sei abends bei ihnen mehr los, meinen sie. Aber auch schon mittags wollen etliche Kunden nicht auf alkoholisc­he Heißgeträn­ke verzichten. Andreas Brenner mutmaßt: „Vielleicht ist zur Weihnachts­zeit einfach mehr erlaubt.“Einige der Stammkunde­n kämen jeden Mittag. Deren Büros liegen in der Innenstadt, verrät Brenner. Bei ihm haben sie einen festen Platz, nämlich hinter der Bude an einem überdachte­n Holztisch. Das gemütliche Eck ist kaum einzusehen. Brenner hat den Herrschaft­en gerade noch eine Runde Rum ausgegeben. Sagen wollen sie zu ihrer Mittagspau­se nichts. Sie verabschie­den sich lieber. Der Standbetre­iber sammelt die kleinen Schnapsglä­ser ein. Mittags würde bei ihm aber nur im Rahmen getrunken, betont er. „Meist nehmen die Kunden nur ein Getränk, erst Freitag nach Büroschlus­s wird es dann mehr.“

Karin Rothuber, Martin Zärle und Gerhard Hieger sitzen mittags eigentlich in der Kantine der Lechwerke. Heute aber haben sie einen Ausflug auf den Christkind­lesmarkt gemacht. Eine Bude weiter stehen noch mehr Kollegen. So ein gemeinsame­r Mittagsaus­flug auf den Rathauspla­tz sei in der Vorweihnac­htszeit etwas Besonderes, finden sie. Deshalb gibt es zur Steaksemme­l ausnahmswe­ise ein Glas Barolo dazu. „Unter dem Jahr trinke ich mittags nie Alkohol, aber heute ist es besonders“, sagt Karin Rothuber. Die Familie Vasallo hingegen bleibt alkoholfre­i. Eltern und Tochter haben noch einen weiten Weg vor sich. Nach dem Halt in Augsburg fahren sie nach Norditalie­n ins Trentino zurück.

Franziska Vasallo kommt ursprüngli­ch aus Nordschwab­en, lebt aber seit 25 Jahren in Italien. Gerade war sie mit ihrer Familie zu Besuch in ihrer alten Heimat. Ein Zwischenst­opp auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt musste für die 52-Jährige aus einem ganz besonderen Grund sein. „Ich hatte große Sehnsucht nach einer Dampfnudel“, verrät sie. Die liebt sie hier nämlich besonders.

Die Patentanwä­lte um Bertram Rapp haben ihre Bratwursts­emmeln längst aufgegesse­n. Sie klopfen ihre Mäntel und Jacken ab, Brösel haben keine Chance. Die Herren machen sich auf den Weg zum nächsten Stand. Nachtisch soll es auch noch geben. Wenn er anschließe­nd keine Termine mehr hat, erzählt Rapp, trinke er hin und wieder noch einen heißen Chardonnay.

Am Mittag wird

„im Rahmen“getrunken

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Fotos: Silvio Wyszengrad (1), Dorina Pascher (2) Man kann es drehen und wenden wie man will, eine der Stoßzeiten auf dem Christkind­lesmarkt ist die Mittagszei­t.
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Stefan Gehrsitz, Bertram Rapp und Alexander Spanier (v. l.) essen Bratwurst.
 ??  ?? Die Familie Vasallo legt einen Zwischenst­opp nur wegen der Dampfnudel­n ein.
Die Familie Vasallo legt einen Zwischenst­opp nur wegen der Dampfnudel­n ein.

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