Augsburger Allgemeine (Land West)
Der lange Schatten der Diesel Affäre
Die US-Justizbehörden haben Anklage gegen den ehemaligen VW-Boss erhoben. USA-Reisen sollte der Ex-Manager sich nun erst einmal sparen. Denn die amerikanischen Richter sind nicht zimperlich
Washington Der amerikanische Justizminister Jeff Sessions holte den ganz großen Zeigefinger heraus. „Das sind schwerwiegende Anschuldigungen, und wir werden diesen Fall mit der ganzen Härte des Gesetzes bestrafen“, sagte der konservative Hardliner. „Wer versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen.“Die Drohung galt keinem Geringeren als Ex-VW-Boss Martin Winterkorn. Mit dessen Anklage wegen Betrugs und einer Verschwörung zur Umgehung der US-Gesetze durch das zuständige Bezirksgericht in Detroit erreicht die Abgasaffäre endgültig die Top-Etage des weltweit größten Autobauers.
Winterkorn hatte den VW-Konzern von 2007 bis zum September 2015 geleitet. Bei seinem Rücktritt hatte er die Verantwortung für die gefälschten Emissionsdaten nach unten delegiert: Er sei „fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, hatte der heute 70-Jährige gesagt und beteuert, persönlich sei er sich „keines Fehlverhaltens bewusst“.
Das sehen die US-Behörden ganz anders. Sie werfen Winterkorn vor, über die Manipulationen informiert worden zu sein und sie gebilligt zu haben. In seiner 43-seitigen Anklageschrift schildert das Bezirksgericht unter Leitung des Richters Sean Cox zwei konkrete Begebenheiten: So soll der für Produktsicherheit zuständige – und nun ebenfalls angeklagte – Ex-VW-Manager Bernd Gottweis nach dem Bekanntwerden erster Unregelmäßigkeiten am 22. Mai 2014 ein einseitiges Memo an Winterkorn geschrieben haben, in dem er davor warnte, dass Volkswagen die Ausschläge bei den Messergebnissen nicht erklären könne und die US-Behörden die Fahrzeuge möglicherweise auf Manipulations-Software untersuchen könnten. Bei einem Treffen am 27. Juli 2015 in der Wolfsburger Konzernzentrale sollen Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung dann im Beisein von Winterkorn mit einer Power-Point-Präsentation genau erklärt haben, wie VW die US-Kontrolleure täuscht und welche Konsequenzen eine Aufdeckung des Betruges haben könnte. Der damalige Konzernboss soll eingewilligt haben, die Praxis fortzusetzen.
Richter Cox gilt als knallhart. In einem früheren Fall brummte er dem einstigen VW-Umwelt-Manager Oliver Schmidt eine Haftstrafe von sieben Jahren auf und ging damit über die Forderung der Staats- anwälte hinaus. Schmidt und Ex-Ingenieur James Liang, der als Kronzeuge fungiert und zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, sitzen in den USA im Gefängnis. Sechs weitere ehemalige und amtierende VWMitarbeiter wurden in den USA bereits angeklagt, doch konnten die amerikanischen Behörden ihrer nicht habhaft werden.
So könnte es auch Winterkorn gehen: Ihm droht eine Maximalstrafe von 25 Jahren Haft und eine für seine Vermögensverhältnisse lächerliche Geldbuße von 275000 Dollar. Doch der Manager hält sich angeblich in Deutschland auf, und üblicherweise werden Bundesbürger nicht ins Ausland ausgeliefert. Unmittelbar hat Winterkorn also wenig zu befürchten, solange er sich künftige Reisen in die USA verkneift.
Allerdings ermittelt auch in Deutschland die Staatsanwaltschaft Braunschweig im Abgasskandal. Anders als die US-Justizbehörden haben die deutschen Ermittler aber noch nicht entschieden, ob die Beweise für eine förmliche Anklage in Deutschland ausreichen. Gegen die Person Winterkorn hingegen läuft kein eigenes Ermittlungsverfahren, da nach Auskunft der Staatsanwaltschaft kein sogenannter „Anfangsverdacht“vorliege. Der für Umweltund Klimapolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Georg Nüßlein, warnt davor, die Verantwortlichen in Deutschland laufen zu lassen. Gegenüber unserer Zeitung fordert Nüßlein auch in Deutschland strafrechtliche Konsequenzen für die seinerzeit verantwortlichen Manager. „Es kann nicht sein, dass Winterkorn und Co. für nix Verantwortung tragen außer für ihre Millionengehälter!“
Der CSU-Umweltexperte sieht „durch das möglicherweise kriminelle Handeln auf der VW-Chefetage“nicht nur VW-Autofahrer, VWAktionäre und den Klimaschutz geschädigt: „Die VW-Führungsriege hat die gesamte deutsche Automobilindustrie und die bewährte Diesel-Technologie in Misskredit gebracht. Die Verantwortlichen – nicht nur die bei VW – gefährden Arbeitsplätze, bringen Dieselbesitzer um den Wert ihres ersparten Autos, belasten die Umwelt und ruinieren den guten Ruf des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
In den Vereinigten Staaten droht dem VW-Konzern, der für die Aufarbeitung des Diesel-Gate in den USA bereits mehr als 22 Milliarden Dollar an Entschädigungen und Strafzahlungen aufwenden musste, derweil ein weiterer Imageschaden. Die New York Times mutmaßt zudem, dass bei einer Verurteilung des Ex-Konzernchefs die Chancen von Aktionären steigen, milliardenteure Schadenersatzforderungen wegen bewusster Falschinformationen durchzusetzen.
Obwohl Winterkorn einer der hochrangigsten ausländischen Manager ist, die je in den USA angeklagt wurden, spielt der Abgas-Krimi in der amerikanischen Öffentlichkeit keine dominierende Rolle mehr. Das Wall Street Journal, die New York Times und die Washington Post berichten nicht auf ihren Titelseiten, sondern im Wirtschaftsteil über die Anklage. Die New York
Times weist zudem darauf hin, dass sich die US-Regierung im VWSkandal bigott verhalte: Präsident Donald Trump bereitet nämlich gerade eine Lockerung der Emissionsvorschriften für Neuwagen vor.