Augsburger Allgemeine (Land West)
Der nächste Dopingskandal?
Dem Rechercheverbund war von einem Whistleblower eine Datenbank mit rund 10000 Bluttests von fast 2000 Wintersportlern zugespielt worden, die diese ungewöhnliche Häufigkeit verdächtiger Blutwerte dokumentieren soll. Experten zufolge liegt laut einer
die Wahrscheinlichkeit einer anderen Ursache als Doping für derartige Werte unter Topathleten bei lediglich einem Prozent. Die Daten zeigten zudem, dass mehr als 50 SkiLangläufer auf der Qualifikationsliste für die Winterspiele in Pyeongchang bei Bluttests auffällige Werte aufwiesen, die nahelegten, dass sie in der Vergangenheit betrogen haben könnten und ohne Sanktion davongekommen seien. Die größte Anzahl an Athleten mit verdächtigen Werten stamme aus Russland. Darunter sollen Langläufer des Landes sein, die allein 60 Medaillen holten. Loipen-Stars aus Norwegen, Deutschland, Schweden und Italien, die mutmaßlich manipuliert haben, werden mehr als 100 Medaillengewinne zugeschrieben. Franz Steinle zeigte sich als Präsident des Deutschen Ski-Verbandes verwundert über die Anschuldigungen. „Wir sind einer der Vorreiter im AntiDoping-Kampf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas Unregelmäßiges vorgefallen sein soll“, sagte Steinle. Generell könne er nicht viel dazu sagen, da es keinerlei Namen und keinerlei Werte gebe.
Währendessen hat Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sein Unverständnis für die Aufhebung der lebenslangen Olympia-Sperren von 28 russischen Athleten durch den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) geäußert. „Das war extrem enttäuschend und überraschend für das IOC“, sagte der deutsche Chef des Internationalen Olympischen Komitees verärgert. „Wir hatten niemals damit gerechnet.“Das CAS hatte die vom IOC im verhängten Sanktionen gegen 28 Athleten komplett aufgehoben und die Sperren für elf weitere Sportler deutlich reduziert. Das „Olympische Team aus Russland“kann in Pyeongchang nun auf Zuwachs hoffen. Das IOC hat nach dem CASUrteil die Klärung des Startrechts von weiteren 13 Athleten und zwei Trainern an die unabhängige Prüfkommission weitergereicht. Das Gremium unter Vorsitz der französischen Ex-Sportministerin Valérie Fourneyron hatte zuvor 169 russische Athleten aus einer Liste von ursprünglich 500 Sportlern zu den Spielen in Südkorea eingeladen. Zu den 13 jetzt noch möglichen Nachrückern gehören auch die Olympiasieger Alexander Legkow (SkiLanglauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton). Die Russen dürfen in Pyeonchang nur unter neutraler Fahne, ohne eigene Hymne und ohne die Team-Kleidung ihres Landes teilnehmen.
Wenn es stimmt, was internationale Medien berichten, steuert der Wintersport auf einen weiteren Gipfel seiner an Dopingskandalen nicht gerade armen Geschichte. Dieses Mal stehen die Skilangläufer im Fokus. Schon immer galten die Ausdauerathleten auf ihren schmalen Brettern als besonders anfällig für chemische Beschleuniger. Wenn es um Medaillen geht, ist Skilanglauf der Radsport des Dopings.
Warum aber fliegen die alten Helden ausgerechnet jetzt auf? Warum ist es inzwischen Tradition, dass Skandale dieser Art die Ouvertüre zu solchen Sportgipfeln sind? Weil im Licht der Weltöffentlichkeit Bewegung in Systeme gerät, die vor und nach Olympia im Dunkeln arbeiten. Das allein aber reicht nicht. Mögen die Sportverbände auch noch so enge Doping-Netze spannen – der große Fischzug bleibt ihnen versagt. Der Anti-Doping-Kampf benötigt die Verbündeten aus den inneren Zirkeln der Chemieküchen. Für Pyeongchang kommt das Zuspiel des Whistleblowers zu spät – aber frühzeitig genug, um auf die Spiele einen mächtigen Schatten zu legen. WELTCUP