Augsburger Allgemeine (Land West)
Vor der großen Flut
Dokumentarfilm Skefka ist ein kurdisches Dorf in der Nähe des Tigris. Jetzt soll es wegen eines Staudamms verschwinden. Der Regisseur präsentiert seine Dokumentation darüber in Augsburg
Die Zukunft der Bewohner von Skefka ist besiegelt. Vierzig Jahre lang blieben die Dorfbewohner im Südosten der Türkei unabhängig. Doch bald wird der umstrittene Ilisu-Staudamm das kurdische 400-Seelen-Dorf am Tigris unter sich begraben. Herr Nedim Hazar Bora, Sie haben die Geschichte des Dorfes festgehalten und daraus den Dokumentarfilm „Tigris Rebellen“gedreht, der heute Abend im Liliom gezeigt wird. Im Filmtrailer sieht man gepflasterte, ordentliche Straßen. Skefka ist kein armer kurdischer Weiler mit schlammigen Wegen, tief hängenden Kabeln und schlechter Wasserversorgung, oder?
Nedim Hazar Bora:
Nein. Das war auch für uns eine Überraschung. Als wir das erste Mal das Ortsschild passierten, trauten wir unseren Augen nicht: Intakte Straßen und funktionierende Infrastruktur – wie in einem Touristendorf an der Ägäis. Und das, obwohl das Leben in dieser Region weder sicher noch idyllisch ist und kurdische Großgrundbesitzer wie auch das Militär den Dörfern kaum Luft zum Atmen lassen.
Wie kam Skefka zu diesem Wohlstand?
Nedim Hazar Bora:
Den Anfang machte wohl ein Bagger. Ende der 1990er Jahre gründeten die Menschen eine Kooperative, kauften den Bagger und bearbeiteten mit ihm das Land am Tigrisufer. Den Erlös aus der Ernte investierten sie in Baumaterial fürs Dorf und bauten die Kanalisation, verlegten das Straßenpflaster, organisierten die Stromversorgung – in Eigenleistung. Touristen aus der nahen antiken Felsenstadt Hasankeyf besuchten auch Skefka.
Jetzt soll der Ilisu-Staudamm 300 Quadratkilometer unter Wasser setzen, darunter auch Skefka. Haben Sie sozusagen in letzter Sekunde gefilmt?
Wir haben zum Glück schon 2015 gedreht. Jetzt wäre das politisch nicht mehr machbar. Der Startschuss für den Damm ist eigentlich schon überfällig. Ich denke, die Regierung will die aktuelle politische Lage nicht noch weiter polarisieren und wartet ab. Einer von vielen Streitpunkten für Skefka und etwa 100 andere Gemeinden am Tigris sind fehlende Kompensationsund Umsiedlungspläne. Wenn das Wasser kommt, ohne dass die Entschädigungen für die etwa 70 000 betroffenen Menschen vereinbart sind, wäre das eine Katastrophe.
Nedim Hazar Bora:
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat Ihren Film unterstützt. Gab es auch Förderung von türkischen Institutionen?
Ein unabhängiger
Nedim Hazar Bora:
Filmfonds wollte einsteigen, musste sich dann aber aus politischen Gründen zurückziehen. Ich habe vieles privat finanziert und in Deutschland bekamen wir über Crowdfunding zusätzlich 15 000 Euro zusammen.
Die Uraufführung des Films fand auf dem irakisch-kurdischen Filmfestival in Dohuk statt. Können Sie den Film auch in der Türkei zeigen?
(lacht) Nein, das geht nicht. Wir haben ein paar private Vorstellungen gemacht. Aber wir wollen nichts riskieren, was den Dorfbewohnern und ihrer Sicherheit schaden könnte.
Nedim Hazar Bora:
Sie sind mit einer Deutschen verheiratet, haben 23 Jahre in Deutschland gelebt, für verschiedene Fernsehsender gearbeitet und besitzen ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Ist die Rückkehr angesichts der Situation für türkische Künstler derzeit eine Option für Sie?
Nedim Hazar Bora:
Ich ging 2003 in die Türkei, weil ich in Istanbul ein Angebot als Regisseur bei NTV bekam. Aber wir beide haben Deutschland immer als unsere Heimat gesehen. Von Antakya, wo wir jetzt leben und arbeiten, sind es nur wenige Stunden Flug nach Köln. Inzwischen ist das Leben in der Türkei schwieriger geworden, das stimmt. Aber Deutschland ist für meine Frau und mich derzeit keine Option.
Interview: Stefanie Schoene
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Der Film „Tigris Rebellen“wird am heutigen Mittwoch, 27. September, um 19 Uhr im Liliom Kino in Augsburg gezeigt. Regisseur Nedim Hazar Bora ist bei der 90 minütigen Vorführung anwesend und steht danach dem Publikum für Fragen zur Verfügung.
Vorführung