Augsburger Allgemeine (Land West)
„Faust“jetzt in Algerien
Berlin II Volksbühnen-Intendant Castorf verabschiedet sich mit Goethe
Berlin
Dieser Abschied war nur mit Ausdauer durchzuhalten. Als seine letzte große, mit vielen Stars besetzte Inszenierung an der Berliner Volksbühne zeigte Frank Castorf eine Version von Goethes „Faust“– sieben Stunden lang. Als die Aufführung in der Nacht von Freitag auf Samstag kurz nach ein Uhr endete, applaudierten sich die erschöpften Schauspieler und Zuschauer gegenseitig. Der 65-jährige Castorf gab sich beim Verbeugen lässig und kaute Kaugummi.
Die Titelrolle spielt Ex-„Tatort“-Kommissar Martin Wuttke. Er steht als greiser Faust auf der Bühne – und trägt immer wieder eine Falten-Maske, unter der er schwer zu verstehen ist. Vor allem aber wird er mit zahlreichem Slapstick als reichlich lächerlicher Mann gezeigt. An der Seite des sexbesessenen Mephisto (Marc Hosemann) durcheilt Faust mal per U-Bahn, mal auf einem Dreirad sein Schicksal.
Castorf verknüpft seine „Faust“-Variation mit dem Thema „Kolonialisierung“– gespiegelt am Beispiel Algeriens. Ausstatter Aleksandar Denic hat dafür auf der Drehbühne eine kolonial-französisch angehauchte Szenerie gebaut: Metrostation, Bar, Balkone, Kino, dazu ein Hof voller Ölfässer. Die hinter Wänden verborgenen Innenräume werden ausgiebig mit Kameras erkundet, das Geschehen dort – wie in Castorfs Bayreuther „Rheingold“-Regie – auf Videoleinwände übertragen.
Die Inszenierung überrascht zunächst damit, dass Goethes zweiteiliges Drama zu erkennen ist. Anfangs wird vor allem die GretchenGeschichte erzählt. Doch je länger der Abend, desto unverständlicher. Das mit vielen Kalauern gespickte Puzzle aus Schabernack, Musical und Melodram, Agitprop und Albernheit ist oft nur sehr schwer zu entschlüsseln. Die Schauspieler agieren gleichwohl mit Verve. Neben Martin Wuttke stechen Sophie Rois als Hexe/Famulus sowie Alexander Scheer mit einer kabarettistischen Parodie auf Castorfs Nachfolger Chris Dercon heraus. Doch zu einem schlüssigen Ganzen fügen sich die Einzelteile nicht zusammen. Castorfs Assoziationen zum Befreiungskampf der Algerier gegen die französische Kolonialmacht lösen oft nur Ratlosigkeit aus.