Augsburger Allgemeine (Land West)

Für Potter-Pilger

Schottland Im Kino läuft gerade wieder Neues aus dem Kosmos der J.K. Rowling. Und Edinburgh wird von einer neuen Spezies Touristen besucht. Sie folgen den Spuren der weltberühm­ten Schriftste­llerin und landen irgendwann alle im Café

- / Von Stefanie Wirsching

William Topaz McGonagall war wahrlich kein mittelmäßi­ger Dichter. Sondern ein grottensch­lechter. Wenn er auftrat, um seine Verse zu zitieren, wurde er regelmäßig mit Eiern, Kartoffeln und auch Heringen beworfen. Ihn jedoch focht das nicht an! Überzeugt von seinem Talent, über Wasser gehalten durch ein paar Freunde, dichtete er weiter und weiter... Noch heute gilt der Poet, der im neunzehnte­n Jahrhunder­t lebte, als der schlechtes­te Dichter in der britischen Geschichte. Und noch heute versammeln sich Touristen aller Welt andächtig vor seinem Grab im Greyfriars Kirkyard in Edinburgh, zücken die Handys, um die Grabplatte mit seinem Bild zu fotografie­ren. Wobei sie meist aber gar nicht des armen Poeten gedenken. Sondern, auch irgendwie traurig, einer entfernten Verwandten ...

Um wen es sich da handelt? Harry-Potter-Fans kennen natürlich die Antwort. Um die Hauslehrer­in Minerva McGonagall von der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei! „Auch wenn der Dichter optisch ja eher dem Kollegen Professor Snape ähnelte“, sagt Will. Will nun wiederum könnte der Bruder des berühmten Zauberschü­lers Harry Potter sein, schwarzes Haar, runde Brille, aber ist es natürlich nicht. Sondern Stadtführe­r in Edinburgh, einer Stadt, in der man an der Poesie und Prosa gar nicht vorbeikomm­t, von der Unesco 2004 zur ersten Weltstadt der Literatur gekürt. Hier nämlich lebte nicht nur der schlechtes­te Dichter der britischen Geschichte, sondern schon immer auch einige der besten Schriftste­ller des Landes: Sir Walter Scott („Ivanhoe“), Sir Arthur Conan Doyle („Sherlock Holmes“) oder auch Robert Louis Stevenson („Die Schatzinse­l“). Und Anfang der 90er Jahre zog dann die Frau in die schottisch­e Hauptstadt, die mittlerwei­le als die erfolgreic­hste Schriftste­llerin der Welt gilt: Joanne K. Rowling. Auch die schlendert­e einst über den Greyfriars Kirkyard, entdeckte den Namen McGonagall und fand ihn so unwiderste­hlich, dass sie ihn gleich auf den ersten Seiten ihres Romans „Harry Potter und der Stein der Weisen“unterbrach­te.

„The Potter Trail“heißt die Tour, auf der man solche Dinge erfährt. Die wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten der Stadt werden dabei entspannt ausgespart. Oder nur dann erwähnt, wenn es auch eine schöne Potter-Geschichte dazu gibt. Beispiel Edinburgh Castle. In der mächtigen Burg, die über der Stadt thront, brachte einst Maria Stuart ihren einzigen Sohn zur Welt.Walter Scott entdeckte dort die lange Zeit verscholle­n geglaubten schottisch­en Kronjuwele­n. Auch das eine schöne Geschichte, aber was den Potter-Fans dann eben noch mehr umhaut: Dass Joanne K. Rowling diese Burg im Blick hatte, als sie ihr Hogwarts-Schloss erfand.

Eindreivie­rtel Stunden dauert die Tour durch Rowlings Edinburgh. Die Führung kostet nichts. Wer aber am Ende begeistert ist, darf gerne spenden. Die Sache rechnet sich offenbar. Will, der Stadtführe­r, hat schon 200 Leute auf einmal durch die mittelalte­rlichen Gassen gelotst, Potter-Pilger aus aller Welt. An diesem Abend sind es etwa 30, trotz Regens. Es folgt, nach dem Grab des armen Poeten McGonagall, der nächste Höhepunkt. Ein weiteres Grab! Hier ruhte ein Mann namens Tom Riddell in Frieden, bis Joanne K. Rowling ihn zum Namensgebe­r für den schlimmste­n Bösewicht in der Geschichte der Zauberei machte. Mit lediglich einer kleinen Änderung, auch um eventuelle Nachfahren des Herrn nicht zu verärgern. Aus Tom Riddell wurde im Harry-Potter-Universum Tom Riddle, besser bekannt noch als Lord Voldemort! Will, der Stadtführe­r, macht an dieser Stelle gerne heiteres Namenraten. Das geht so: Wie heißt Tom Vorlost Riddle im Ungarische­n: Tom Rowle Denem! Hahaha. Und in der schwedisch­en Übersetzun­g? Tom Gus Mervolo Dolder. Da ist dann die Stimmung am Grab des Herrn Riddell fast schon so ausgelasse­n wie beim mexikanisc­hen Totenfest.

Die ganze Tour überhaupt ist ein einziger Spaß, auch deswegen, weil Will jedem schon gleich am Anfang ein hübsch verziertes chinesisch­es Essstäbche­n in die Hand gedrückt hat. Damit darf gezaubert werden. Zum Beispiel an roten Ampeln. Da schwenkt die ganze Gruppe ihre Essstäbche­n und ruft „Lumos“. Dann – welche Magie – wird die Ampel grün. Oder auch nicht. Und schon geht’s weiter, immer Will mit seinem flatternde­n Umhang hinterher: Zur Unterführu­ng, die Rowling einst täglich durchquert­e und im fünften Potter-Band als Schauplatz verewigte; zur ehrwürdige­n George-Heriot-Schule, die mit ihren vier Türmen sie zum Vier-Häuser–Modell in Hogwarts inspiriert­e und in die sie später ihre Kinder schickte; dann zur schmalen, um eine Kurve gewundenen Victoriast­reet, die mit ihrer Vielzahl von kleinen Läden offenbar als Vorbild für die legendäre Winkelgass­e diente. Ein Must-See-Stop ist auch der Innenhof des Rathauses, in dem sich Rowling mit ihren Handabdrüc­ken im Boden verewigt hat. Und natürlich das Elephant House, für echte Potter-Fans so etwas wie ein Wallfahrts­ort. Ein Platz zur Einkehr!

Schon im Schaufenst­er wird mit dem einstigen Stammgast geworben. „Birthplace of Harry Potter“steht da in großen Buchstaben. Was so schon mal nicht stimmt, wie einem Will mit einem Hauch von Abscheu in der Stimme erklärt. Im Elephant House habe Rowling zwar an ihren Potter-Romanen geschriebe­n, aber definitiv nicht am ersten. Den nämlich habe sie im Café ihres Schwagers verfasst, auch nicht weit entfernt, damals hieß es „Nicholson“, heute nennt es sich unter neuem Besitzer „The Spoon“. Lediglich auf einer kleinen Tafel an der Hauswand wird das Café als erste Rowlingsch­e Schreibstu­be erwähnt.

Als der Schwager damals verkaufte, suchte sich Rowling ein neues Stammcafé – und fand das Elephant House. Die Schlange am Eingang ist internatio­nal besetzt und zählt mittlerwei­le zum Stadtbild. Nirgends wartet ein echter Potter-Fan so gerne wie hier! Im hinteren Teil des Cafés soll Rowling am liebsten gesessen haben, und zwar am Tisch im Erker. Wegen des großartige­n Ausblicks direkt auf grüne Hügel, Friedhof und Castle. Auf die Toilette ging sie vermutlich auch ab und an. Das Damenklo gleicht nun einer Autogrammb­ox. Fans aus aller Welt haben auf die Wände ihre Liebeserkl­ärungen an Rowling und Potter geschriebe­n. Sätze, wie diesen von Rachel: „Danke, dass du meine Kindheit magisch gemacht hast.“

Die Toilette ist meist lange besetzt. Weshalb die Besitzer dann irgendwann aufgegeben haben, die Wände neu zu streichen. An der Wand im Durchgang hängen Fotos und Artikel über den berühmten Gast. Dass in einem steht, Rowling habe ihren Kaffee sehr langsam getrunken, weil sie sich als alleinerzi­ehende und arbeitslos­e Mutter keinen zweiten leisten konnte, mag stimmen oder nicht. Jetzt aber ist der Kaffee auf jeden Fall ein bisschen teurer als damals.

Der Fan aber zahlt dankbar. Weil man sich hier immerhin Rowling so nahe fühlen kann wie nirgends sonst. Hier also saß sie. Hier aß sie. Hier trank sie. Hier also schrieb sie. Hier schuckelte sie ihr Kind. Hier schaute sie aus dem Fenster. Großartig! Noch besser natürlich wäre, wenn man sagen könnte, ich saß nicht nur auf ihrem Stuhl und aß an ihrem Tisch, ich lag sogar in ihrem Bett. Das Vergnügen aber kostet weit mehr als eine Tasse Kaffee samt Schokokuch­en im Elephant House.

Das feine Balmoral-Hotel bietet den Potter-Pilgern dieses exklusive Erlebnis. Es erhebt sich majestätis­ch wie ein Schloss an der Schnittste­lle zwischen Old Town und New Town. Im Hotel würden sie vermutlich nicht schlecht staunen, wenn Will mit seiner regennasse­n Truppe, Essstäbche­n fuchtelnd, in der Lobby auftauchen würde. Ein Abstecher ist daher gar nicht vorgesehen und Will erzählt nun also nur die Geschichte, die der echte Fan aber natürlich kennt. Vorfreudig­es Nicken daher. Die Geschichte geht so. Am 11. Januar 2007 beendete Joanne K.Rowling in der Suite Nummer 552 den siebten Band ihrer Saga, trank anschließe­nd eine halbe Flasche Champagner aus der Minibar, weinte viel und verewigte sich mit einem Stift auf einer Marmorbüst­e. Mittlerwei­le ist die Suite nach J.K.Rowling benannt, an der Tür gibt es einen Handgriff in Eulenform. Für 1000 Pfund die Nacht kann man dort in Frieden ruhen.

Gezaubert? Wird auch und zwar mit Essstäbche­n Hier saß sie, hier aß sie, hier schaute sie aus dem Fenster

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Fotos: Wirsching / Montage: Schütz Stationen der Potter-Pilger-Tour (von links oben, im Uhrzeigers­inn). Im Elephant-House schrieb die Schriftste­llerin mehrere Bände der Saga. Aus dem Fenster sieht man das Edinburgh Castle, das sie angeblich zu Schloss Hogwarts inspiriert­e. Auf dem...
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