Augsburger Allgemeine (Land West)
Das süße Leben
Künstler äußern sich immer wieder über ihre Kunst. Manchmal auch derart, dass man hinterher so klug ist wie zuvor. Bei Robert Gernhardt (1937 – 2006) ist das anders. Der Dichter hat Erhellendes zur eigenen Dichtung niedergeschrieben, so auch zu seinen Versen „Schön, schöner, am schönsten“. Daran kann man sich in diesem Fall halten – auch wenn ein Dichter, der sich mit seinem Werk befasst, wie ein Fremder ins eigene Haus zurückkehrt (frei nach Hilde Domin).
Das Gedicht ist am 22. April 1986 in Rom entstanden, in einer Zeit, da die Verse aus Gernhardt, salopp gesagt, nur so sprudelten. Drei Monate dauerten diese römischen Tage, und an ihrem Ende standen 60 Gedichte. Gernhardt ermittelte im Schnitt eineinhalb Tage pro Gedicht.
Die erste Zeile, „ein Geschenk der Götter“, überfällt ihn beim Frühsport. Er überträgt sie sogleich ins Notizheft. Wie aber weiter? Die Worte bleiben im Kopf, plötzlich schließt ein zweiter Vers an, dann der dritte. Wobei der Dichter als „wichtigsten Schritt“den Einfall mit der Steigerung „schön, schöner, am schönsten“bezeichnet. Damit gewinnt das Gedicht seine (anaphorische) Struktur – und zugleich ein Spannungsmoment. Denn das Publikum fragt sich sogleich, in welchem Superlativ, mit welcher Pointe wird alles enden?
Das Gedicht bezieht seinen Reiz und seine Komik aus den Gegenläufigkeiten. Gereimtes folgt auf Ungereimtes, Hochsprachliches auf Niedersprachliches, Schicksalhaftes (Erziehung der Jugend!) auf den Suff („Champagner bis zum Anschlag“), hochfliegende Substanzen („weltliche Werte“kontra „geistige Güter“) auf die pure Seichtigkeit des Genießens.
Gernhardt hat schon früh Tonfälle und Gedichtformen auf ihre Tauglichkeit abgeklopft. Und ebenso früh hat er sich über den hohen Ton und die Bedeutungsschwere im Gedicht lustig gemacht. So auch in unserem Beispiel einer mehrfachen Fallhöhe. Kann man auf Werte „abfahren“? Verflüchtigen sich die geistigen Güter nicht augenblicklich im Nebel der Ahnung? Die großen Worte ertrinken im perlenden Schampus. Er ist das A und O, versetzt mit „süßen Mädels“und einem guten Gewissen („geretteten süßen Geschöpfen“), welches das süße Leben bemäntelt. So schießt Gernhardt gegen die Heuchler und Zeigefinger-Spezies aus Politik, Kirche und Gesellschaft.
Am Ende seines Gedicht-Berichtes nennt er noch Gottfried Benn. Dieser entfaltete in seinem Gedicht „Was schlimm ist“so etwas wie einen Gegenlauf zu Gernhardt. Benn vollzog die Steigerung vom Banalen zum Existenziellen: „Am schlimmsten: / nicht im Sommer sterben, / wenn alles hell ist / und die Erde für Spaten leicht“.