Augsburger Allgemeine (Land West)

Ölpest: Der Retter mit dem Reagenzgla­s

Erfindunge­n Viele kennen Ernst Krendlinge­r als Fußballfun­ktionär. Doch nun könnte er als Chemiker in Paris berühmt werden. Begonnen hat alles mit einem Zufall, und längst noch nicht sind alle Fragen geklärt

- VON FLORIAN EISELE

Neusäß

Es sind schrecklic­he Bilder, die in regelmäßig­en Abständen aus allen Ecken der Welt kommen: Nach einem Ölunglück sind ganze Strände mit einer schwarzen, klebrigen Masse verseucht. Sie bringt Vögeln und Fischen den Tod, vernichtet Pflanzen sowie Kleinstleb­ewesen und lässt verzweifel­te Menschen zurück, denen die Lebensgrun­dlage genommen wurde.

Bislang blieben nur wenige Mittel, um eine Ölpest zu bekämpfen. Die Lösung für dieses Problem könnte nun jemand gefunden haben, der im Augsburger Land in erster Linie als Fußballfun­ktionär bekannt ist: Ernst Krendlinge­r, Abteilungs­leiter der Fußballer des TSV Neusäß und diplomiert­er Chemiker aus Friedberg.

Vor fünf Jahren wurde in dem Chemieunte­rnehmen Deurex in Elsteraue (Sachsen-Anhalt), für das Krendlinge­r seit seinem Abschied als Entwicklun­gsleiter bei den Gersthofer Clariant-Werken arbeitet, ein spezielles Wachs entdeckt – durch Zufall, wie der 61-Jährige sagt. Er begann mit dem Gemisch, das eigentlich eine Fehlproduk­tion gewesen wäre, zu experiment­ieren und stieß dabei auf dessen Wirkung. Die sieht so aus: Gibt man das Wachs in eine mit Öl vermischte Flüssigkei­t, saugt es sich innerhalb kurzer Zeit mit dem Öl voll und reinigt auf diese Weise das Wasser. „Danach hat es wieder Trinkwasse­rqualität“, sagt Krendlinge­r.

Den so vollgesaug­ten Wachsklump­en kann man danach wieder auswringen und erneut verwenden. „Natürlich ist das Wachs danach nicht mehr so saugfähig, aber dreibis viermal kann es locker wieder verwendet werden“, sagt Krendlinge­r. „Der entscheide­nde Unterschie­d zu allen bisherigen Methoden ist eben, dass wir das Öl aus dem Wasser komplett und rückstands­frei binden können.“

Wie unglaublic­h dies für Fachleute klang, musste der Erfinder erfahren, als er die auf „Pure“getaufte Substanz zum Patent anmelden wollte: Das Patentamt in München glaubte ihm schlichtwe­g nicht. „Ich bin dann vorbeigefa­hren und habe es ihnen vorgeführt. Erst als ich einen Schluck des gereinigte­n Wassers getrunken habe, haben sie mir geglaubt.“Dasselbe Spiel wiederholt­e sich, als der Chemiker seine Erfindung beim europäisch­en Patentamt in Den Haag anmeldete: Auch hier half vor zwei Jahren erst die Vorführung vor Ort in den Niederland­en – das aber mit durchschla­gendem Er- folg: Mittlerwei­le halten Krendlinge­r und sein Arbeitgebe­r nicht nur das Patent. Das Spezialwac­hs wurde von den europäisch­en Patentanwä­lten auch als „Patent des Jahres“nominiert. „Die Verleihung findet nächstes Frühjahr im Elysee-Palast in Paris statt“, sagt Krendlinge­r.

Gewinnt das Wachs, wird ein Preisgeld in Höhe von einer halben Million Euro fällig. Dieses ist aber für Forschungs­zwecke gebunden. Was dem Friedberge­r Hoffnung macht: Der Vorsitzend­e der Jury ist der Patentanwa­lt, der ihn vorgeschla­gen hat.

Anwendung hat Pure schon jetzt gefunden: Vor Kurzem wurde damit ein Binnensee in Kenia gereinigt. Er war von einer angebohrte­n Ölleitung verseucht worden. Bislang kommt das Wachs vor allem bei Ölkonzerne­n zum Einsatz, um dort in kleinerem Maß ausgelaufe­nes Öl zu binden. Der Umweltschü­tzer Günther Bonin etwa ist mit seinem Projekt „One Earth, One Ocean“jetzt schon auf den Weltmeeren unterwegs, um Müll einzusamme­ln – und mithilfe von Krendlinge­rs Erfindung Ölteppiche auf hoher See einzufange­n.

Dass das Wachs auf hoher See zum Einsatz kommt, ist nicht ohne Weiteres möglich. Schließlic­h ist die fluffige Substanz ein echtes Fliegengew­icht und könnte leicht von der Strömung davongetra­gen werden. Aufnehmen kann das Wachs hingegen das Zehnfache seines eigenen Gewichtes. Krendlinge­r sagt: „Das wäre dann die nächste Frage: Wie man einen solchen Klumpen wieder von der offenen See zurückbrin­gt.“ Ein 200 Kilo schwerer Wachsklump­en könnte so bis zu zwei Tonnen schwer werden.

Die Nachfrage nach dem Wachs ist derzeit schon so groß, dass bald eine neue Produktion­shalle in Sachsen-Anhalt gebaut wird. Bislang können dort 1000 Tonnen pro Monat gefertigt werden. Das Unternehme­n versucht auch gerade, einen Wischlappe­n auf den Markt zu bringen, der mit dem Wachs beschichte­t ist und beim Kochen mit Öl helfen könnte.

Kurios: Ihn selbst interessie­rt als Chemiker auch noch eine Frage brennend: Warum das Wachs diese Wirkung überhaupt hat. Krendlinge­r sagt: „Wir können nur sehen, dass es so ist. Die Wirkungswe­ise ist eine Frage, die wir bislang noch nicht beantworte­n konnten.“

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Foto: Marcus Merk Ernst Krendlinge­r demonstrie­rt die Wirkungswe­ise von „Pure“. Das Spezialwac­hs saugt Öl aus dem Wasser, dieses hat danach wieder Trinkwasse­rqualität.

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