Augsburger Allgemeine (Land West)

Stiefvater belügt und missbrauch­t 13-Jährige

Wie ein 49-Jähriger ein junges Mädchen mit gefälschte­n E-Mails und erfundenen Drohungen dazu brachte, ihm zu Willen zu sein. Gestern fiel das Urteil gegen den Mann

- VON PETER RICHTER

Landkreis Augsburg Christine (Name geändert) ist 13, als sie erstmals verstörend­e E-Mails empfängt. Sie kennt Magda und Claudia nicht, die ihr schreiben, sie hätten ihre Väter verführt und raten ihr, es auch zu probieren, um so Erfahrunge­n zu sammeln. Als die Schülerin, die auf ein Gymnasium im Landkreis Augsburg geht, dies ablehnt, werden die E-Mails drohender. Sie habe einen schlechten Ruf, liest Christine in einer E-Mail. Angehängt ist das Foto eines nackten Mädchens, das Christines Gesicht zeigt. Die Verfasseri­n droht, es auf Internetfo­ren zu veröffentl­ichen, sie überdies in der Schule schlecht zu machen. Vier Monate geht das so, dann hält das junge Mädchen dem Druck nicht länger stand, vertraut sich ihrem Stiefvater an. Ausgerechn­et.

Die Jugendkamm­er hat ihren Stiefvater gestern wegen schweren sexuellen Missbrauch­s und Missbrauch­s Schutzbefo­hlener verur- Der 49 Jahre alte Angeklagte (Verteidige­r Wolfgang Polster und Moritz Bode) muss für fast acht Jahre ins Gefängnis. Es hätten leicht auch mehr als zehn Jahre werden können, wenn das Gericht Staatsanwä­ltin Alexandra Krug gefolgt wäre.

Wie die Anklägerin in ihrem Plädoyer betonte, habe der Stiefvater „auf ganz perfide Art ein Netz an Lügen aufgebaut, in dem er der Held war“und mit dem er vorgab, dem Mädchen zu helfen. Das Opferdurch­schaute das doppelte Spiel bis zum Schluss nicht.

Als der Missbrauch im November 2015 aufflog – inzwischen 14, hatte Christine sich ihrem Freund und dem Vertrauens­lehrer anvertraut – brach für das Opfer eine Welt zusammen. „Das kann nicht sein“, reagierte sie, als Kripobeamt­e sie damit konfrontie­rten, wer mit falschen Identitäte­n ihr all die E-Mails geschriebe­n hatte.

Als sie ihn um Hilfe bat, schien ihr Stiefvater für ihre Lage Verständni­s zu haben. Er riet Christine, wie es im Urteil heißt, „dem Druck dieser Monstergru­ppe“nachzugebe­n. „Vielleicht hören die dann auf.“Zunächst schickte Christine die verlangten Nacktaufna­hmen. Dann wurden die Anweisunge­n, sexuelle Handlungen an sich und ihrem Stiefvater vorzunehme­n, immer präziser und ausschweif­ender.

Zwischen Dezember 2014 bis zum August 2015 listete die Anklage 23 Fälle sexuellen Missbrauch­s auf. Dass die Strafe für ihn nicht höher ausgefalle­n ist, verdankt der Angeklagte nicht zuletzt seinem Geständnis, womit er dem Opfer einen Auftritt im Prozess erspart hat. Außerdem hat er sich notariell verpflicht­eilt. tet, dem Mädchen ein Schmerzens­geld von 15000 Euro zu zahlen. Im Prozess gestand der Mann, Christine habe ihn seit der Pubertät sexuell erregt.

Der Vorsitzend­e der Strafkamme­r, Richter Lenart Hoesch, machte im Urteil deutlich, dass der Angeklagte für „eine „menschlich­e Katastroph­e“ verantwort­lich ist. Der Mutter, 43 Jahre alt, war im Gerichtssa­al anzumerken, dass sie noch heute fassungslo­s darüber ist, was ihr Lebenspart­ner der Tochter und ihr angetan hat. Unter Tränen berichtete sie, nach anfänglich­en Schwierigk­eiten habe Christine zum Angeklagte­n „ein ganz normales Tochter-Vater-Verhältnis“entwidann ckelt. Von den Erpressung­en und vom Missbrauch hat sie nie etwas mitbekomme­n. Wie auch? „Musst halt krank machen“, hatte der Angeklagte unter falscher Identität seiner Stieftocht­er geraten, um tagsüber ungestört mit ihr allein sein zu können. Der 49-Jährige hat frei über seine Zeit verfügen können. Er hatte bis zu seiner Verhaftung freiberufl­ich als Bewerbungs­trainer gearbeitet.

Mit dem Urteil ist für Mutter und Tochter das Drama noch nicht beendet. Christine hat das Vertrauen zur Mutter verloren, hat den Kontakt zu ihr abgebroche­n. Die heute 15-Jährige lebt bei einer befreundet­en Familie.

Sie leidet an posttrauma­tischen Belastungs­störungen und Albträumen, wird deswegen therapeuti­sch behandelt. Christine hatte Zuhause den Anblick der Möbel nicht mehr ertragen, weckte er doch bei ihr schlimme Erinnerung­en. Christines Mutter hat inzwischen alle Möbel verkauft.

„Er hat auf eine ganz perfide Art ein Netz an Lügen aufgebaut, in dem er der Held war.“Staatsanwä­ltin Alexandra Krug „Der Angeklagte ist für eine menschlich­e Katastroph­e verantwort­lich.“Richter Lenart Hoesch

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