Augsburger Allgemeine (Land West)
Grün-Schwarz erfüllt die Erwartungen – mehr aber nicht
Leitartikel In Stuttgart regiert seit 100 Tagen ein einmaliges Bündnis. Es ist stark von der Parteistrategie geprägt. Schon jetzt geht es um die Wahlchancen im Jahr 2021
Sie kommen kulturell aus völlig unterschiedlichen Ecken, bewerten politische Themen aus entgegengesetzter Perspektive – und regieren trotzdem relativ geräuschlos miteinander: Seit 100 Tagen ist die erste grün-schwarze Koalition im Amt. Die Performance der Partner kann bisher als professionell, aber nicht besonders ambitioniert beschrieben werden.
Die Regierung managte die Flutkatastrophe gleich zu Beginn der Legislaturperiode konsequent. Auch auf die anhaltend hohe Terrorgefahr wurde nach den jüngsten Anschlägen mit einem Sofortpaket zügig reagiert. Dazu kommen Herausforderungen wie die Integration der Flüchtlinge und Probleme damit, dass sich die Unruhen in der Türkei auch auf Deutschland übertragen.
Dies alles sind Themen, bei denen die Bevölkerung ein souveränes und Vertrauen schaffendes Handeln der Politik erwartet. Diese Erwartung haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der Kopf der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, erfüllt. Da momentan die Sicherheitspolitik nahezu täglich von zentraler Bedeutung ist, kann sich vor allem Strobl profilieren.
Für die CDU steht im Zentrum, dass sie sich – wann immer möglich – deutlich von den Grünen abgrenzt. Das erwartet die eigene Basis, die noch damit zu kämpfen hat, kleiner Partner unter den Grünen zu sein. Auf keinen Fall wollen die Christdemokraten den gleichen Fehler machen wie die SPD, die in der Koalition mit den Grünen extrem unter der Beliebtheit des Ministerpräsidenten litt und am Ende in der Wählergunst abstürzte.
Deswegen versuchte Strobl – selbst noch im Urlaub – kontinuierlich für Schlagzeilen zu sorgen. Deswegen nutzt CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart jede Gelegenheit, um den Parlamentariern ein eigenes Profil zu verleihen. Deswegen sprechen sich die CDU-geführten Ministerien untereinander intensiver ab, als es damals die SPD tat. Die Grünen, wissend um ihre Vorteile als stärkste politische Kraft in Baden-Württemberg, beäugen das Vorgehen des Koalitionspartners noch mit der gebotenen Ruhe.
Die Glaubwürdigkeit von GrünSchwarz bekam einen großen Kratzer, als bekannt wurde, dass die Partner außerhalb der Koalitionsvereinbarung Nebenabsprachen in Milliardenhöhe getroffen haben. Nachdem dazu noch geheime Vereinbarungen über geplante Sparmaßnahmen aus dem innersten Kreis der Koalition öffentlich wurden, hat sich die Situation weiter zugespitzt. Vor allem das Image Kretschmanns und der Grünen, die Transparenz sonst immer wie eine Monstranz vor sich hertragen, hat stark gelitten. Bei anderen Konflikten wie der Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten oder der Wiedereinführung der Vermögensteuer ist Kretschmann eher auf CDU-Linie – zum Ärger seiner Parteifreunde in Berlin.
Hinter den beiden führenden Köpfen Kretschmann und Strobl ist das Bemühen groß, keine Fehler zu machen. Das gilt für die Fraktionen im Stuttgarter Landtag genauso wie für die Minister im Kabinett. Die Ressortchefs beider Parteien lassen sich genügend Spielraum, damit sich jeder profilieren kann. Die CDU hat die Zeit nach Kretschmann im Kopf. Tritt der grüne Übervater in den nächsten Jahren ab, wollen die Christdemokraten bei der Wahl 2021 wieder stärkste Kraft im Land werden.
Bei allen taktischen Überlegungen bleibt am Ende bisher jedoch die Frage offen, für was GrünSchwarz eigentlich steht. Vieles deutet auf ein Bündnis hin, das eher verwaltet – und keine großen Projekte angehen wird. Inhaltlich ist das allerdings sehr wenig.
Die CDU will sich möglichst klar von Grünen abgrenzen