Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Corona-Demos – ohne Corona

Die einstigen Corona-Demonstrat­ionen ziehen inzwischen weniger Menschen an. Sie widmen sich anderen Themen, der Ton bleibt scharf. Die Rede ist von „Krieg in unserem Land“.

- Von Max Kramer

Auch diesen Samstag sind wieder ein paar Hundert Menschen zusammenge­kommen. Sie stehen in der Hallstraße, in der Kälte dieses Nachmittag­s, und wollen demonstrie­ren. Nur – gegen was? Einst ging es vor allem um Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Jetzt tritt Michaela Königsberg­er ans Mikrofon und spricht unter anderem über die Verlängeru­ng der Grundsteue­r-Erklärung, den „InsektenWa­hnsinn“– eine neue EU-Verordnung erlaubt mehr Insekten als bisher in Lebensmitt­eln -, den „Asylanten-Zulauf“, der nicht mehr gestemmt werden könne. Kein Wort von Corona, kein Wort von Pandemie.

Vor etwas mehr als einem Jahr erreichte die Protestbew­egung gegen Corona-Maßnahmen in Augsburg ihren Höhepunkt. Mehrere Tausend Menschen zogen durch die Innenstadt, teils auch unangemeld­et bei sogenannte­n „Spaziergän­gen“. Vor allem die Debatte über eine allgemeine Impfpflich­t erwies sich als Katalysato­r, auch bis dato Unbeteilig­te schlossen sich an. Und heute? Ist vieles anders. Mit dem schrittwei­sen Wegfall der Corona-Maßnahmen ging auch die Zahl der Demonstrie­renden zurück, geblieben ist ein stabiler Kern. „Im Stadtgebie­t Augsburg wurden zuletzt etwa 200 bis 300 Teilnehmer registrier­t, in den Landkreise­n liegen die Teilnehmer­zahlen im zweistelli­gen Bereich“, teilt das Polizeiprä­sidium Schwaben-Nord mit. Tendenziel­l sei der Zulauf „eher rückläufig“. Die Zahlen, die Demo-Teilnehmer im sozialen Netzwerk Telegram verbreiten, liegen nur etwas darüber. „Wenn wir Woche für Woche 30 Teilnehmer mehr haben, dauert es nur gut sechs Jahre, bis wir die 10.000er-Schallmaue­r durchbrech­en“, schreibt ein Nutzer nach der Demo am vergangene­n Samstag. Dies sei doch ein „überschaub­arer Zeitraum, nicht wahr? Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“Unter Durchhalte-Parolen mischt sich auch Frust. Was es denn noch brauche, heißt es immer wieder, dass die Leute endlich „aufwachen“?

„Die Leute sind kaum noch betroffen.“Wegen des geringeren Zulaufs, aber auch weil die Demos nur noch einmal statt zweimal pro Woche stattfinde­n, „sind auch die Auswirkung­en auf das öffentlich­e Leben und den Verkehr spürbar

zurückgega­ngen“, sagt Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU). Inzwischen sei Corona-Kritik „ein Thema unter vielen“und nehme „aktuell keinen herausgeho­benen Stellenwer­t mehr ein“. Dennoch versucht das Netzwerk der Corona-Kritiker weiterhin, auf sich aufmerksam zu machen. So findet zweimal pro Woche vor der Lokalredak­tion der Augsburger Allgemeine­n eine „Mahnwache“für „unabhängig­en Journalism­us“statt, an der meist zwischen zehn und 20 Personen teilnehmen; eine „Galerie zur Aufklärung der Pandemie-Politik“reiht am Fuggerplat­z Berichte aus „Alternativ­medien“aneinander, insbesonde­re zur Corona-Impfung. Für viele der dort aufgestell­ten Behauptung­en gibt es keine Beweise. Mindestens fragwürdig sind auch manche Inhalte,

die während der „großen“Demonstrat­ion verbreitet werden. So entfernte zuletzt etwa die Video-Plattform Youtube die Aufnahme einer Demo Ende Januar. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt Youtube, das Video habe „gegen die Richtlinie­n gegen medizinisc­he Missinform­ation verstoßen“. In dieser Richtlinie heißt es, dies betreffe unter anderem „Inhalte, die den übereinsti­mmenden Expertenme­inungen zu sicheren medizinisc­hen Praktiken widersprec­hen.“Warum genau dieses Video gesperrt wurde, teilt Youtube nicht mit. Allerdings werde der verantwort­liche Kanal „weiter überprüft“.

Corona bleibt ein gemeinsame­r Nenner, inhaltlich haben sich die Demonstrat­ionen aber geöffnet. Michaela Königsberg­er, Vorsitzend­e

des Bürgerforu­ms Schwaben, das die Demos organisier­t, sagte Ende Januar im Kontext UkraineKri­eg: „Zum Glück hießen wir schon im Januar letzten Jahres Demo-Friedensum­zug. Warum? Weil wir in unserem Land schon lange Krieg haben.“Er finde seit Jahren „bei uns in Deutschlan­d, in unserer Region, überall in allen Ebenen“statt. Als Beispiel nannte sie die Lebensmitt­elindustri­e, das Bildungssy­stem, Altersarmu­t, ein kaputtgesp­artes Gesundheit­ssystem. Für leere Renten- und Krankenkas­sen seien weder Rentner noch Kranke verantwort­lich. „Sondern schuld sind die, die in unser Land kommen, nichts einbezahle­n und trotzdem aus dem Vollen schöpfen. Eine falsche Asylpoliti­k.“All dies seien für sie „Kriege ohne Waffen“. Weitere Themen: 4G, 5G, mRNAImpfst­off.

„All das steigert sich und ist alles ein Plan und führt zu einem Ergebnis: die totale Überwachun­g, die Steuerung der Menschen.“Zum Abschluss fordert Königsberg­er die Regierung auf, „keine Waffen und Panzer in Kriegsgebi­ete zu liefern. Und deswegen gehen wir auf die Straße.“

Auch die Demo-Schilder haben nur noch teils mit Corona zu tun. Die Botschafte­n reichen von „Den dritten Weltkrieg stoppen jetzt“über „Unser Land zuerst“bis „Nur digital bezahlen ist totale Kontrolle“. Die Polizei erklärt auf Nachfrage, „nennenswer­te Ermittlung­sverfahren“habe es im Kontext der Demos zuletzt nicht gegeben, Hinweise auf eine Radikalisi­erung der Protestbew­egung lägen nicht vor. Man habe „aber die Entwicklun­g ganz genau im Blick.“

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Die Demos in Augsburg, die sich ursprüngli­ch gegen Corona-Maßnahmen richteten, haben sich inzwischen für neue Themen geöffnet. Es geht auch um den Ukraine-Krieg.
Foto: Michael Hochgemuth Die Demos in Augsburg, die sich ursprüngli­ch gegen Corona-Maßnahmen richteten, haben sich inzwischen für neue Themen geöffnet. Es geht auch um den Ukraine-Krieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany