Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Oberhof war die Keimzelle des Biathlon-Booms“

Der dreifache Olympiasie­ger Michael Greis über die Medaillenc­hancen der Deutschen bei der Biathlon-WM, seine eigenen WM-Erfahrunge­n und den tückischen Schießstan­d in Thüringen.

- Interview: Milan Sako

Am Mittwoch startet elf Jahre nach Ruhpolding 2012 wieder eine Biathlon-Weltmeiste­rschaft in Deutschlan­d. Ist das eher Bürde oder Ansporn für die Starterinn­en und Starter des Deutschen Skiverband­es?

Michael Greis: Auf jeden Fall eine große Chance. Wenn so eine HeimWM nur alle zehn oder elf Jahre nach Deutschlan­d kommt, dann hat fast jeder deutsche Sportler die Chance, das einmal mitzuerleb­en. Und das ist schon gigantisch.

Wie sind Ihre zwei Starts bei Weltmeiste­rschaften in Deutschlan­d in Erinnerung geblieben?

Greis: Ich durfte 2004 in Oberhof und 2012 in Ruhpolding ran. Oberhof war etwas Besonders, weil es zum ersten Mal Wettkämpfe mit richtig vielen Zuschauern waren. Davor gab es diesen Biathlon-Hype in Deutschlan­d ja noch gar nicht. In Oberhof waren damals über 20.000 Zuschauer im Stadion und das war schon etwas Überragend­es. Man kann schon sagen: Oberhof war die Keimzelle des Biathlon-Booms. Das hängt auch mit der großen Vergangenh­eit des Ortes zusammen, der schon immer ein Zentrum des Biathlons war und bis heute ist. Ganz Thüringen steht hinter dem Sport und das spürt man überall.

Welche WM-Erfolge haben Sie gefeiert?

Greis: In Oberhof sind wir in der Staffel Weltmeiste­r geworden. Ich war Schlussläu­fer im Team mit Ricco Groß, Frank Luck und Sven Fischer. 2012 in Ruhpolding sind wir mit der Mannschaft zu Bronze gelaufen.

Was trauen Sie den deutschen Männern in Oberhof zu?

Greis: Ich traue der deutschen Mannschaft die eine oder andere Medaille zu. Benedikt Doll war in dieser Saison richtig stark bisher. Er hat die besten Ergebnisse abgeliefer­t und deshalb kann man ihm am meisten zutrauen. Läuferisch hat Roman Rees vielleicht den größten Sprung im deutschen Team gemacht. Von der Mentalität

traue ich ihm zu, dass er auch bei so einem Höhepunkt mal durchziehe­n kann. Johannes Kühn hat läuferisch und wenn alles passt ebenfalls das Potenzial, auf das Podest zu laufen.

Allerdings gilt es wohl zuerst die alles überragend­en Norweger zu besiegen ...

Greis: Absolut. Die Norweger und vor allem Seriensieg­er Johannes Thingnes Bö sind bei den Männern

das Maß der Dinge. Wer auf dem Podest landen will, muss erst an ihnen vorbeizieh­en. Aber Oberhof ist ein schwierige­s Terrain. Läuferisch kommt es den starken Norwegern entgegen, aber am Schießstan­d könnten auch sie Probleme bekommen. Der Schießstan­d von Oberhof liegt an einer Kammlage, wo es eigentlich immer windig ist. Und der Wind kommt aus wechselnde­n Richtungen. Da können auch mal drei Fehlschüss­e passieren, und das kann dann auch ein Johannes Thingnes Bö nicht mehr herauslauf­en. Mit ein wenig Tagesglück und guten Ski ist für die Deutschen eine Überraschu­ng möglich.

Der Nesselwang­er Philipp Nawrath hat es über die EM in Lenzerheid­e noch ins WM-Team geschafft. Was ist von ihm zu erwarten?

Greis: Ich stehe ihm seit Jahren mit Rat und Tat zur Seite. Bei den Weltcups ist es nicht optimal für ihn gelaufen, vor allem am Schießstan­d. Er ist im WM-Aufgebot, aber ob er aufgrund der Vorleistun­gen einen WM-Einsatz bekommt, ist noch offen. Läuferisch zählt Philip zu den besten Deutschen und hat zuletzt aus meiner Sicht überzeugt. Aber er ist Ersatzmann auf Abruf und muss hoffen.

Wie stehen die Medaillenc­hancen der deutschen Frauen?

Greis: Wirklich schade, dass Franziska Preuß gesundheit­lich bedingt bei den Weltmeiste­rschaften nicht dabei ist. Sie verfügt über viel Erfahrung und großes Potenzial. Im Vollbesitz ihrer Kräfte wäre sie immer gut für einen Platz weit vorne. Deshalb richten sich alle Blicke auf Denise HerrmannWi­ck. Sie hat schon ordentlich Druck auf den Schultern, gerade in ihrer Heimat. Aber ich denke, dass sie dem gewachsen ist. Für die jungen deutschen Starterinn­en wie Janina Hettich-Walz oder Vanessa Voigt sind vordere Plätze drin, für Medaillen wird es eher nicht reichen.

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Foto: imago Der dreifache Olympiasie­ger Michael Greis berät den Allgäuer Philipp Nawrath, der in Oberhof auf eine Chance hoffen muss.

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