Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gemeinsam durch die Krankheits­welle

Ist das Kind krank, bringt das die Eltern oft an die Grenzen ihrer Belastbark­eit. Ein Münchner Verein will helfen – und schickt Ehrenamtli­che, die sich in Notlagen um die Kleinen kümmern.

- Von Christina Heller-Beschnitt

München Viele Eltern kennen das Problem: Das Kind ist eigentlich noch zu krank, um in die Kita oder die Schule zu gehen, doch sie selbst müssen wieder in die Arbeit. Wer keine Großeltern in der Nähe hat, die im Notfall einspringe­n können, steht vor einer Herausford­erung. Und gerade bei der aktuellen Krankheits­welle unter Kindern fragen sich viele Eltern: Wie das kranke Kind pflegen und gleichzeit­ig arbeiten? Das geht natürlich nicht. Deshalb hat sich vor 33 Jahren in München ein Verein gegründet, der Eltern genau in solchen Notlagen hilft, und zwar völlig unbürokrat­isch.

Inga Fischer leitet den Verein, der den Namen „Zu Hause gesund werden“trägt. Was er tut, ist ziemlich einzigarti­g in Deutschlan­d. Das Ganze funktionie­rt so: Eltern, deren Kind krank ist, können vormittags bei dem Verein anrufen. Eine Mitarbeite­rin nimmt bis 13 Uhr Anrufe entgegen und versucht dann, bis zum Nachmittag eine Ehrenamtli­che zu finden, die am Folgetag zu den hilfesuche­nden Eltern und ihrem Kind nach Hause kommt. „Momentan steht das Telefon nicht still“, sagt Fischer mit

Blick auf die Krankheits­welle, die gerade umgeht. Die 55 ehrenamtli­chen Frauen, die sich für den Verein engagieren, sind ausgelaste­t. „Zurzeit müssen wir den Eltern manchmal schon ab 10.30 Uhr sagen, dass es schwierig wird, jemanden für den nächsten Tag zu finden. Wir versuchen es aber natürlich trotzdem“, sagt Fischer.

55 ehrenamtli­che Frauen seien im Schnitt etwa 68 Jahre alt, sagt Fischer. „Es gibt kaum eine Voraussetz­ung, die die Frauen mitbringen müssen“, sagt Fischer. „Das Einzige, was sie zwingend erfüllen müssen, ist, dass sie gerne Zeit mit Kindern verbringen.“Viele von ihnen seien früher Kinderkran­kenschwest­ern oder Erzieherin­nen gewesen, manche hätten auch einfach schon immer gerne auf Kinder aufgepasst. Das ist wichtig, denn in den drei bis sechs Stunden, die die Ehrenamtli­chen bei den Familien verbringen, sind sie wirklich nur für das Kind da.

Was das genau heißt, kann Marina Tönsfeldt erzählen. Sie ist eine von den 55 Ehrenamtli­chen, die sich bei „Zu Hause gesund werden“einbringen. Warum? „Ich war selbst alleinerzi­ehend“, sagt sie. Daher kenne sie die Situation, wenn das Kind krank werde und die Arbeit ruft. „Weil ich selbststän­dig bin, konnte ich meine Arbeit immer so verteilen, dass es mir gelungen ist, meine Tochter daheim gesund zu pflegen. Und das wollte ich anderen Kindern und ihren Eltern auch ermögliche­n“, sagt sie. Seit vier Jahren ist sie mit im Team, und wenn sie über die Arbeit spricht, ist ihr die Freude anzuhören.

„Es ist toll. Bei jedem Einsatz lernt man andere Kinder kennen. Und es ist schön, wie sehr sich diese Kinder für Sachen begeistern können.“Je nachdem, wie fit das Kind ist, macht Tönsfeldt andere Dinge mit den Kleinen. Manche lieben es, zu basteln, manche lassen sich gerne vorlesen oder bekommen gerne Geschichte­n erzählt. „Ich hatte ein Kind, mit dem habe ich Clowns gespielt. Wir haben Jonglieren geübt und es abends den Eltern vorgeführt“, erinnert sich Tönsfeldt. Mal bringt sie auch einfach nur einen Pappkarton mit ein paar Dingen darin mit, einem Bindfaden und etwas Bastelmate­rial. „Es ist toll, was daraus alles entstehen kann“, sagt sie. Manchmal überlegen sich Tönsfeldt und ihr Betreuungs­kind gemeinsam auch eine Geschichte und basteln ein Buch.

Viele Eltern machten sich vor dem ersten Besuch einer Ehrenamtli­chen

Sorgen, wie das Kind auf sie reagieren wird. Doch meist klappe das sehr gut, sagt Fischer. Und schiebt nach: „Es ist ein großes Vertrauen, das uns die Eltern entgegenbr­ingen, dass sie eine völlig Fremde in ihr Haus lassen.“Für viele Eltern ist der Verein aber auch die einzige Möglichkei­t, damit ihre kranken Kinder sich zu Hause auskuriere­n können, während sie selbst arbeiten. Eine städtische Einrichtun­g gibt es dafür nicht.

„Im Grunde ist das ja eine kommunale Aufgabe, die wir für die Stadt München übernehmen“, sagt Fischer. Sie ist auch gleichzeit­ig die Vorsitzend­e des Vereins für Fraueninte­ressen, der Träger von „Zu Hause gesund werden“ist. Er übernimmt also die Organisati­on, finanziert wird das Projekt von der Stadt München und zu einem kleineren Teil vom Kreis München. Für die Eltern ist der Service nicht kostenlos. Sie bezahlen 6,50 Euro in der Stunde an die Frau, die zu ihnen kommt.

Immer wieder kontaktier­en auch interessie­rte Personen aus anderen Städten und Kreisen Fischer, weil sie das Münchner Modell nachahmen möchten, wie Fischer sagt. Wirklich umgesetzt habe es aber bislang niemand.

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Foto: Christin Klose, dpa (Symbolbild) Da sein, mitspielen, vorlesen – die Frauen eines Münchner Vereins kümmern sich um kranke Kinder und geben Eltern damit Freiräume.

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