Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Öko-Sprit vom Ende der Welt

Im äußersten Süden von Südamerika wollen Siemens und Porsche eine neue Ära der Treibstoff­technik einläuten. Aus Windstrom, Wasser und CO2 wird klimafreun­dliches Benzin.

- Denis Düttmann, dpa

Punta Arenas An der Südspitze von Chile bläst eine steife Brise. Der starke Wind fegt über die Weiden Patagonien­s hinweg, zerrt an den Sträuchern und wühlt das Meer auf. Jetzt sollen die Böen auch ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawande­l leisten. Siemens Energy und der Autoherste­ller Porsche haben am Dienstag nahe der Stadt Punta Arenas eine Fabrik für CO2-neutralen Kraftstoff (E-Fuel) eröffnet. „Das ist nur der Anfang einer neuen Ära“, sagte Porsche-Entwicklun­gsvorstand Michael Steiner. „Diese Fabrik ist ein Meilenstei­n.“

Die Anlage Haru Oni bei Punta Arenas ist nach Angaben der Unternehme­n weltweit die erste Anlage zur industriel­len Herstellun­g von E-Fuel. Beteiligt sind auch die Unternehme­n HIF, Exxon Mobil, Enel, Enap und Gasco. Bei dem Projekt wird mit Windstrom CO2-neutraler Kraftstoff erzeugt. Per Elektrolys­e wird mit dem erneuerbar­en Strom zunächst Wasser in Sauerstoff und Wasserstof­f gespalten. Anschließe­nd wird CO2 aus der Luft gefiltert und mit dem Wasserstof­f über den Zwischensc­hritt Methanol zu E-Fuel umgewandel­t. Die Grundidee ist, dass diese Kraftstoff­e, verglichen mit normalem Benzin, kein neues, vorher langfristi­g gebundenes CO2 freisetzen sollen. „Power to

Fuel“-Verfahren gewinnen den Sprit nicht aus Rohöl, das Jahrmillio­nen im Boden lagerte. Quasi umgekehrt bauen sie stattdesse­n Kohlenwass­erstoff-Ketten aus Wasserstof­f (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieint­ensiv gespalten werden muss.

Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutr­al antreiben: Frei wird nur so viel CO2, wie aus Luft oder Biomasse geholt wurde. In der Pilotphase in Chile werden mit einer Windturbin­e mit 3,4 Megawatt Leistung erst einmal nur 130.000 Liter pro Jahr hergestell­t. Porsche nimmt die gesamte Menge ab und will den Treibstoff zunächst im Motorsport, bei Probefahrt­en

mit Kunden und für die Betankung von Oldtimern einsetzen. 70 Prozent aller jemals gebauten Porsche-Fahrzeuge sind noch immer auf der Straße. „Wir wollen den Fahrern die Möglichkei­t geben, ohne schlechtes Gewissen ihre Fahrzeuge weiter zu betreiben“, sagte Steiner.

In den kommenden Jahren soll die Kapazität deutlich gesteigert werden. Schon in der nächsten Ausbaustuf­e werden 40 Windräder die Energie für die Herstellun­g von E-Fuel liefern. Bis 2025 sollen etwa 55 Millionen Liter jährlich hergestell­t werden und bis 2027 rund 550 Millionen Liter. Künftig könnte E-Fuel in größerem Maßstab als grüner Treibstoff oder als Beimischun­g zu herkömmlic­hem Benzin zum Einsatz kommen.

Ob sich das wirtschaft­lich rechnet, hängt nach Einschätzu­ng von Porsche vor allem vom Gesetzgebe­r ab. Sollte die Beimischun­g von klimaneutr­alem Treibstoff verpflicht­end werden oder steuerlich stark begünstigt werden, könnte E-Fuel trotz eines Herstellun­gspreises von derzeit etwa zwei USDollar pro Liter attraktiv werden. Die Betreiber der Pilotanlag­e haben sich eine Hintertür offen gehalten, sollte die Nachfrage nach E-Fuel nicht anziehen. Die Fabrik stellt in einem ersten Schritt Methanol her, das auch anderweiti­g vertrieben werden kann. „Mit Methanol haben wir einen Grundstoff, den man schon direkt als Treibstoff für Schiffe nutzen kann. Außerdem kann man daraus auch Kerosin herstellen“, sagt Markus Speith von Siemens Energy.

Die E-Fuel-Technologi­e steht immer wieder wegen des geringen Wirkungsgr­ads in der Kritik. Während in Elektroaut­os zwischen 70 und 80 Prozent der AusgangsEn­ergie am Rad ankommen, sind es bei E-Fuel nur etwas mehr als 40 Prozent. „Die Effizienz ist gar nicht so entscheide­nd. Ohne uns würde der Wind hier gar nicht genutzt“, sagt Rolf Schumacher von der Betreiberg­esellschaf­t HIF Global. Im Süden von Chile ist Wind im Überfluss vorhanden. Für Porsche ist E-Fuel keine Alternativ­e zum Elektroaut­o, sondern eine Ergänzung. „Wir halten daran fest, bis 2030 rund 80 Prozent der Neufahrzeu­ge zu elektrifiz­ieren“, sagt Beschaffun­gschefin Barbara Frenkel.

Im Süden Chiles hoffen die Menschen auf eine neue Wachstumsi­ndustrie in der struktursc­hwachen Region. „Vor genau 77 Jahren wurde hier erstmals Öl entdeckt“, sagt der Bürgermeis­ter von Punta Arenas, Claudio Radonich. „Jetzt hat sich das Paradigma geändert. Früher stand das Öl für Wohlstand, jetzt der Wind.“

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Foto: Manuel Hollenbach, Porsche Barbara Frenkel und Michael Steiner von Porsche tanken im Süden Chiles E-Fuel.

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