Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Öko-Sprit vom Ende der Welt
Im äußersten Süden von Südamerika wollen Siemens und Porsche eine neue Ära der Treibstofftechnik einläuten. Aus Windstrom, Wasser und CO2 wird klimafreundliches Benzin.
Punta Arenas An der Südspitze von Chile bläst eine steife Brise. Der starke Wind fegt über die Weiden Patagoniens hinweg, zerrt an den Sträuchern und wühlt das Meer auf. Jetzt sollen die Böen auch ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Siemens Energy und der Autohersteller Porsche haben am Dienstag nahe der Stadt Punta Arenas eine Fabrik für CO2-neutralen Kraftstoff (E-Fuel) eröffnet. „Das ist nur der Anfang einer neuen Ära“, sagte Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner. „Diese Fabrik ist ein Meilenstein.“
Die Anlage Haru Oni bei Punta Arenas ist nach Angaben der Unternehmen weltweit die erste Anlage zur industriellen Herstellung von E-Fuel. Beteiligt sind auch die Unternehmen HIF, Exxon Mobil, Enel, Enap und Gasco. Bei dem Projekt wird mit Windstrom CO2-neutraler Kraftstoff erzeugt. Per Elektrolyse wird mit dem erneuerbaren Strom zunächst Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Anschließend wird CO2 aus der Luft gefiltert und mit dem Wasserstoff über den Zwischenschritt Methanol zu E-Fuel umgewandelt. Die Grundidee ist, dass diese Kraftstoffe, verglichen mit normalem Benzin, kein neues, vorher langfristig gebundenes CO2 freisetzen sollen. „Power to
Fuel“-Verfahren gewinnen den Sprit nicht aus Rohöl, das Jahrmillionen im Boden lagerte. Quasi umgekehrt bauen sie stattdessen Kohlenwasserstoff-Ketten aus Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss.
Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben: Frei wird nur so viel CO2, wie aus Luft oder Biomasse geholt wurde. In der Pilotphase in Chile werden mit einer Windturbine mit 3,4 Megawatt Leistung erst einmal nur 130.000 Liter pro Jahr hergestellt. Porsche nimmt die gesamte Menge ab und will den Treibstoff zunächst im Motorsport, bei Probefahrten
mit Kunden und für die Betankung von Oldtimern einsetzen. 70 Prozent aller jemals gebauten Porsche-Fahrzeuge sind noch immer auf der Straße. „Wir wollen den Fahrern die Möglichkeit geben, ohne schlechtes Gewissen ihre Fahrzeuge weiter zu betreiben“, sagte Steiner.
In den kommenden Jahren soll die Kapazität deutlich gesteigert werden. Schon in der nächsten Ausbaustufe werden 40 Windräder die Energie für die Herstellung von E-Fuel liefern. Bis 2025 sollen etwa 55 Millionen Liter jährlich hergestellt werden und bis 2027 rund 550 Millionen Liter. Künftig könnte E-Fuel in größerem Maßstab als grüner Treibstoff oder als Beimischung zu herkömmlichem Benzin zum Einsatz kommen.
Ob sich das wirtschaftlich rechnet, hängt nach Einschätzung von Porsche vor allem vom Gesetzgeber ab. Sollte die Beimischung von klimaneutralem Treibstoff verpflichtend werden oder steuerlich stark begünstigt werden, könnte E-Fuel trotz eines Herstellungspreises von derzeit etwa zwei USDollar pro Liter attraktiv werden. Die Betreiber der Pilotanlage haben sich eine Hintertür offen gehalten, sollte die Nachfrage nach E-Fuel nicht anziehen. Die Fabrik stellt in einem ersten Schritt Methanol her, das auch anderweitig vertrieben werden kann. „Mit Methanol haben wir einen Grundstoff, den man schon direkt als Treibstoff für Schiffe nutzen kann. Außerdem kann man daraus auch Kerosin herstellen“, sagt Markus Speith von Siemens Energy.
Die E-Fuel-Technologie steht immer wieder wegen des geringen Wirkungsgrads in der Kritik. Während in Elektroautos zwischen 70 und 80 Prozent der AusgangsEnergie am Rad ankommen, sind es bei E-Fuel nur etwas mehr als 40 Prozent. „Die Effizienz ist gar nicht so entscheidend. Ohne uns würde der Wind hier gar nicht genutzt“, sagt Rolf Schumacher von der Betreibergesellschaft HIF Global. Im Süden von Chile ist Wind im Überfluss vorhanden. Für Porsche ist E-Fuel keine Alternative zum Elektroauto, sondern eine Ergänzung. „Wir halten daran fest, bis 2030 rund 80 Prozent der Neufahrzeuge zu elektrifizieren“, sagt Beschaffungschefin Barbara Frenkel.
Im Süden Chiles hoffen die Menschen auf eine neue Wachstumsindustrie in der strukturschwachen Region. „Vor genau 77 Jahren wurde hier erstmals Öl entdeckt“, sagt der Bürgermeister von Punta Arenas, Claudio Radonich. „Jetzt hat sich das Paradigma geändert. Früher stand das Öl für Wohlstand, jetzt der Wind.“