Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn auch Diebe größer denken
In Zittau wurde eine komplette Straße geklaut.
In Filmen sind die erfolgreichsten Coups ja oft die, die unter den Augen aller verübt werden: Bündelweise Banknoten werden getarnt aus Finanzinstituten geschafft, verkleidete Täter verlassen unbehelligt den Ort des Geschehens. Passanten, Polizei, alle völlig ahnungslos, nur die Zuschauer wissen, was da gerade wirklich passiert. Auch im sächsischen Zittau waren Diebe mutmaßlich in aller Seelenruhe zugange. Wochenlang arbeiteten sie für alle sichtbar immer wieder an ihrem Beutezug.
Über Weihnachten 2021 haben sie so eine ganze Straße gestohlen. Richtig gelesen. Eine Straße, tutto completto, 112 Tonnen Granitsteine. Als der Bundespolizei der Diebstahl am 10. Januar 2022 gemeldet wurde, war von der Ladestraße des alten Güterbahnhofs nur noch das Sandbett übrig. Wert des Diebesguts: geschätzt 40.000 Euro. Ebenso wie der sagenhafte Reichtum mancher Film-Gangster blieb dem mutmaßlichen Täter von Zittau das Happy End verwehrt. Jetzt, am Dienstagmorgen, wurde er in Erfurt festgenommen.
Dass derart Unhandliches entwendet wird, kommt immer wieder mal vor: 1990 entdeckte die Polizei von Los Angeles mehr als 300 gestohlene Gullydeckel. Im USBundesstaat Washington verschwand 2005 eine 1,3 Tonnen schwere Glocke aus einem buddhistischen Tempel. Und in der zentralrussischen Region Iwanowo stahlen Dorfbewohner 2008 eine gesamte leer stehende Kirche, um die Steine an einen Geschäftsmann zu verkaufen. Dagegen wirkt der Raub der 100 Kilogramm schweren „Big Maple Leaf“Goldmünze aus dem Berliner Bodemuseum 2017 fast wie das Werk eines Taschendiebs. Ein Coup, der durchaus Kino-Potenzial hätte.