Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Warum eine Ukrainerin doppelt Weihnachten feiert
Die 33-jährige Nataliia ist mit ihrem Mann und ihrer Mutter nach Königsbrunn geflüchtet.
Königsbrunn Der Parkplatz am Königsbrunner Rosenpark hat sich in eine kleine weihnachtliche Budenstadt verwandelt. Trotz der eisigen Minusgrade herrscht reges Treiben. Mittendrin die Ukrainerin Nataliia mit ihrem Mann Serhii und ihrer Mutter Svitlana. Während auf einer Bühne gerade zu Weihnachtsklassikern getanzt wird, geht Serhii eine Runde Glühwein holen. „Lecker“, sagt Nataliia auf Deutsch, nachdem sie vorsichtig an der dampfenden Tasse genippt hat. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Wieder auf Englisch fährt Nataliia nach einem weiteren Schluck fort: „Ich lerne gerade Deutsch mit einer App.“
Seit Juli wohnt die 33-Jährige mit ihrer Familie und rund 20 weiteren ukrainischen Flüchtlingen im „Haus Gertrud“. Der zweistöckige
Bau beherbergte früher eine Demenzwohngruppe des Königsbrunner Seniorenzentrums St. Hedwig, das nur ein paar Häuser entfernt ist. Nun stellt die CAB, eine Tochtergesellschaft des Caritasverbands Augsburg, das Haus als Unterkunft für ukrainische Geflüchtete zur Verfügung. „Nachdem der Krieg ausgebrochen ist, haben wir lange gehofft, dass wir doch in der Ukraine bleiben können“, berichtet Nataliia, das Lächeln ist einer ernsten Miene gewichen. „Doch irgendwann hat mein Mann nicht mehr die medizinische Hilfe bekommen, die er braucht, und daher mussten wir flüchten.“
Nataliia stammt aus dem Gebiet Czernowitz im Südwesten des Landes. Viele Einwohner aus ihrer Geburtsstadt lebten von der Arbeit in einem Kraftwerk, Nataliia selbst unterrichtete an einer Schule Englisch und Mathematik. Die Familie
ist gerade noch rechtzeitig geflüchtet: Nur drei Tage, nachdem auch Mutter Svitlana Ende Oktober nach Deutschland aufgebrochen ist, flog das Kraftwerk in die Luft. Russische Kampfflugzeuge hatten es bombardiert. Seitdem sitzt die ganze Stadt im Dunkeln, Strom gibt es nicht mehr. Die Mehrheit des ukrainischen Volks feiert Weihnachten nach dem christlich-orthodoxen Kalender erst am 6. und 7. Januar, erklärt Nataliia. Für viele, besonders in den wenig religiösen Landesteilen, sei allerdings an Silvester das größere Fest. „Dann stellen auch die meisten Familien den Weihnachtsbaum auf und nach Mitternacht gibt es Geschenke“, sagt Nataliia. Ansonsten werde das neue Jahr so begrüßt, wie es auch in Deutschland üblich ist – mit reichlich Essen und Sekt zum Anstoßen.
Am Abend des 6. Januar findet das Weihnachtsessen im engsten Familienkreis statt. Hierbei steht der Tisch voll, mit zwölf verschiedenen Gerichten, allesamt ohne Fleisch und ohne Milchprodukte. Denn: „Traditionell wird 40 Tage vor dem 7. Januar gefastet, aber das ziehen nur noch wenige durch. Das Fastenessen am Vorabend ist aber noch sehr gängig.“Auch wenn sich Nataliia als nicht religiös bezeichnet, werden bei ihr zu Hause einige Traditionen gepflegt. Etwa der Brauch, dass am Heiligabend Teller für die Verstorbenen eingedeckt werden, auf denen je ein Löffel aller zwölf Gerichte landet. „Das bleibt dann die ganze Nacht über stehen, weil man davon ausgeht, dass die Verstorbenen in der Nacht zum Essen kommen“, sagt die 33-Jährige.
Am nächsten Tag wird das Fasten gebrochen, mit einem traditionellen Gericht mit ordentlich Gelatine oder mit Teigtaschen mit Kartoffelund Käsefüllung. „Außerdem stattet man der Verwandtschaft und Freunden Besuche ab und die Kinder singen Lieder“, sagt Nataliia. Eine Woche später wird das neue Jahr in Teilen der Westukraine noch einmal auf eine andere Art und Weise begrüßt – mit dem Fest namens „Malanka“. Nataliias Erzählungen erinnern an die alemannische Fastnacht: „Die Menschen verkleiden sich in ganz unterschiedlichen Kostümen, als Tiere, aber auch als Dämonen, und ziehen durch die Straßen.“In Zeiten des Krieges wird nun einiges anders als gewohnt. „Wir werden am 24. Dezember deutsche Weihnachten feiern, zusammen mit den Bewohnern im Haus Gertrud“, sagt die 33-Jährige. Sie hat bereits einiges über die Bräuche hierzulande erfahren: „Den Adventskranz finde ich besonders schön, das kennen wir in der Ukraine nicht.“Am 6. Januar möchte Nataliia einen ukrainischen Heiligabend feiern, nur mit ihrer Mutter und ihrem Mann. „Wir möchten das Fest nutzen, um gemeinsam an die zu denken, die in der Ukraine leiden müssen, und an alle, die bereits verstorben sind.“