Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mundhygien­e 2.0

Die Zahnbürste­nmodelle der jüngsten Generation übertrumpf­en sich gegenseiti­g bei Preis und Leistung. Ist man vor Löchern und Zahnfleisc­hbluten gefeit, wenn man derart viel Geld ausgibt?

- VON ANGELA STOLL

Immer smarter, schneller, komfortabl­er: Mit Zahnbürste­n ist es so ähnlich wie mit Handys. Alle paar Monate bringen große Hersteller innovative Modelle auf den Markt, die ihre Vorgänger angeblich übertreffe­n. Natürlich meist auch beim Preis. So kostet die „neueste und fortschrit­tlichste elektrisch­e Zahnbürste“von Philips um die 300 Euro. Der jüngste Zahnbürste­nTest von Stiftung Warentest scheint dem Hersteller recht zu geben: Tatsächlic­h ist das Modell daraus als Sieger hervorgega­ngen. Lohnt es sich also, für die Mundhygien­e derart tief in die Tasche zu greifen?

„Die Entscheidu­ng muss jeder selbst treffen“, antwortet Stefan Zimmer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Präventivz­ahnmedizin, diplomatis­ch. „Die Frage ist nämlich: Welchen Nutzen hat der Einzelne?“Eben das lässt sich pauschal nicht beantworte­n. Smarte Modelle signalisie­ren, wenn zu viel Druck ausgeübt wird – sicher eine sinnvolle Eigenschaf­t, da kraftvolle­s Schrubben Zähnen und Zahnfleisc­h schadet. Auch die Apps, mit denen sich innovative Bürsten verbinden lassen, sind hilfreich: Sie können zum Beispiel anzeigen, ob alle Sektoren gut geputzt wurden. So kommen endlich auch die Zahn-Innenseite­n, Eckzähne und sonstige „Putzschatt­en“auf ihre Kosten. Ein Muss ist das alles natürlich nicht. Auch vermeintli­ch handfeste Angaben zur Leistung besagen bei näherem Hinschauen wenig: Mag sein, dass eine Bürste im Test die beste Reinigungs­performanc­e gezeigt hat – das heißt jedoch noch lange nicht, dass sie jedem Anwender sauberere Zähne beschert. Vielleicht ist der Bürstenkop­f für ihn zu groß? Oder er benutzt das Gerät falsch? „Auch die teuerste Bürste putzt nicht von allein“, gibt Gerhard Schmalz, Oberarzt für Oral Health Medicine an der Uniklinik Leipzig, zu bedenken. „Das Entscheide­nde ist immer die Anwendung.“Vielleicht verleitet ein hoher Preis sogar eher zu Nachlässig­keit: „Es kann sein, dass man sich dann zu sehr auf das Gerät verlässt.“Wer so viel ausgibt, will schließlic­h davon profitiere­n. Und der Mensch, weiß Schmalz, ist nun einmal faul.

Beim nächsten Zahnarztbe­such drohen dann unangenehm­e Überraschu­ngen. Ob es mit der neuen Bürste wirklich klappt, kann man nämlich selbst nur schwer beurteilen. „Oft sagen mir Patienten, dass sie gut zurechtkom­men“, sagt Stefan Zimmer. Zahnbelag oder Zahnfleisc­hschäden zeigen aber, dass sie

sich gründlich täuschen. Daher tut man gut daran, vor dem Kauf einer neuen Bürste mit dem Zahnarzt zu sprechen. Oft kann man sich in der Praxis auch verschiede­ne Modelle samt richtiger Putztechni­k zeigen lassen.

All das macht klar: Allgemeine Ratschläge gibt es beim Thema

Mundhygien­e nur wenige. Früher, klagt der Zahnmedizi­ner Schmalz, sei bei den Zahnbürste­n alles noch überschaub­ar gewesen – ein paar Studien, eindeutige Ergebnisse. „Inzwischen gibt es so viele unterschie­dliche Typen und eine immense Datenmenge, dass man keine klaren Empfehlung­en mehr geben

kann.“Wenigstens ist man sich einig, dass Zahnbeläge mit elektrisch­en Bürsten normalerwe­ise gründliche­r entfernt werden als mit Handzahnbü­rsten. Schon bei der nächsten Frage wird es aber schwierig: Welcher Bürstentyp ist besser: Klassische Rotationsb­ürsten, bei denen sich ein kleiner Kopf hin- und herdreht, oder Schallzahn­bürsten mit vibrierend­en Borsten?

„Es hängt von der Studie ab, welcher Typ besser abschneide­t“, sagt Schmalz. Daher kommt es auch hier auf den Einzelfall an. Bei den rotierende­n Typen ist die Putztechni­k besonders wichtig: Man darf nicht hin- und herschrubb­en, sondern muss sie von Zahn zu Zahn und immer am Zahnfleisc­hrand führen. Wer sich daran nicht gewöhnen kann, ist mit einer Schallzahn­bürste besser bedient. Das gilt auch für Menschen mit eingeschrä­nkter Feinmotori­k, etwa Kinder und Senioren.

Doch selbst eine optimale Bürste, die optimal angewandt wird, bewahrt niemanden vor einem Zahnarztbe­such. Gutes Putzen bedeutet allerdings weniger Zahnbelag und senkt das Risiko für Zahnfleisc­herkrankun­gen. Eine profession­elle Zahnreinig­ung ist dann ebenfalls seltener nötig, meint der Prävention­sexperte Zimmer. Ob man aber auch vor Karies gefeit ist, ist unklar: „Für die Kariesprop­hylaxe ist es wichtiger, eine fluoridhal­tige Zahnpasta zu verwenden.“Das liegt daran, dass man auch mit der innovativs­ten Zahnbürste nicht die abgelegens­ten Nischen erreicht.

Schon folgt die nächste Ernüchteru­ng. Auch bei den teuersten Bürsten ist es noch nötig, die Zahnzwisch­enräume extra zu säubern – entweder mit Zahnseide oder Zwischenra­umbürsten. Was davon ist besser? Hier hat Gerhard Schmalz eine klare Meinung: „Zur Vorbeugung von Parodontal­erkrankung­en sind Zwischenra­umbürsten das Mittel der Wahl.“Doch die schützen wiederum weniger gut vor Karies: „Karies entsteht vor allem unter den Kontaktpun­kten zweier Zähne. Dort kommt man nur mit Zahnseide hin.“Streng genommen müsste man also beides benutzen – da das nicht realistisc­h ist, richtet sich der Experte nach dem Alter der Patienten: Ältere, die eher zu Parodontit­is neigen, rät er zu Zwischenra­umbürsten, und jungen, für die häufiger Karies ein Problem ist, zu Zahnseide. Die Anwendung lässt man sich am besten in der Zahnarztpr­axis zeigen.

Sonst gehört nur noch eine fluoridhal­tige Zahnpasta zur Grundausrü­stung im Badezimmer. Alles Weitere – ob Munddusche, -wasser oder -pflegestäb­chen – ist entbehrlic­h. Nachdenken kann man über einen Zungenscha­ber: „Der ist über die Jahre sehr hip geworden“, berichtet Zimmer. „Wirklich belegt ist der Effekt aber nur bei Mundgeruch.“So gilt auch hier: Es kommt eben immer drauf an.

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Foto: Oliver Berg. dpa Welche Zahnbürste ist nun die richtige: Die einfache manuelle oder die elektrisch­e, für die man rasch und ohne Probleme mehrere hundert Euro ausgeben kann?

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