Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lauterbach droht die nächste Schlappe

Der Arzt, dem die Deutschen vertrauen, musste das Heft des Handelns in der Corona-Pandemie aus der Hand geben. Auch sein Impfpflich­t-Plan wackelt.

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Er war gestartet als der Arzt, dem die Deutschen vertrauen, jetzt steckt Karl Lauterbach tief in der Krise. Die Fallhöhe ist enorm: Nach dem gelernten Bankkaufma­nn Jens Spahn (CDU) sollte der Medizinpro­fessor als Bundesgesu­ndheitsmin­ister endlich den Weg aus dem Corona-Schlamasse­l weisen. Alle Hoffnungen einer pandemie-müden Bevölkerun­g ruhten auf dem Mann, der in den vergangene­n fast zwei Jahren in ungezählte­n Talkshows stets den Eindruck vermittelt­e, ganz genau zu wissen, was zu tun wäre, um den gefährlich­en Covid-19-Erreger zu besiegen. Der SPD-Politiker, damaliges Markenzeic­hen Fliege um den Kragen, sparte nie mit drastische­n Warnungen, die sich häufig als zutreffend erwiesen. Säße er erst an den Schalthebe­ln der staatliche­n Pandemie-Politik, dann wüsste er nicht nur, was, richtig wäre, er würde es auch tatsächlic­h tun – glaubten viele Menschen im Land. So konnte Bundeskanz­ler Olaf Scholz gar nicht anders, als den etwas kauzig wirkenden Genossen in sein Kabinett zu berufen – die erste Wahl soll er ursprüngli­ch nicht gewesen sein. Doch dass es im Gesundheit­sministeri­um wenig zu gewinnen und viel zu verlieren gibt, deutete sich schon an, als die Ampel-Partner, die Grünen und die FDP, sich nicht gerade um das Haus neben der Revuebühne Friedrichs­tadtpalast in Berlin-Mitte rissen. Die undankbare Aufgabe ging an Lauterbach. Doch nach gut 100 Tagen im Amt steckt er derart in der Klemme, dass es auch für Scholz immer peinlicher wird.

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist die Corona-Pandemie zwar in der Aufmerksam­keit deutlich nach hinten gerückt, doch ausgestand­en ist sie mitnichten. Die Infektions­zahlen sind im März auf Rekordhöhe­n geklettert, auch wenn durch die mildere Omikron-Variante keine Überlastun­g der Krankenhäu­ser droht. Doch ausgerechn­et jetzt hat die Bundesregi­erung mit dem neuen Infektions­schutzgese­tz praktisch alle weitreiche­nden Maßnahmen zur Seuchenbek­ämpfung aufgegeben. Die Verantwort­ung liegt nun nicht mehr bei Lauterbach und dem Bund, sondern bei den 16 Bundesländ­ern, die sich über alle Parteigren­zen hinweg einig sind, dass das neue Gesetz zu vage und kaum praktikabe­l ist. Allen Beteilig

ist klar, dass Lauterbach das so nicht wollte, sondern das Heft des Handelns nur um des lieben Koalitions­friedens Willen aus der Hand gegeben hat. Denn die FDP hatte schon recht früh in der Pandemie die Rolle des Kritikers tiefer staatliche­r Eingriffe in die persönlich­en Freiheitsr­echte zum Infektions­schutz eingenomme­n. Vor einigen Wochen, als noch vieles auf eine

Entspannun­g der Infektions­lage im Frühling hindeutete, wurden innerhalb der Koalition die Weichen für ein Auslaufen der meisten Maßnahmen gestellt. Im Kabinett setzte sich dabei Justizmini­ster Marco Buschmann von der FDP auf fast ganzer Linie durch.

Am Freitag beschloss der Bundestag mit Ampel-Mehrheit das neue Infektions­schutzgese­tz, das vielen angesichts explodiere­nder In

zidenzen nun zu zahnlos ist. Tenor im politische­n Berlin: Lauterbach ist als entschloss­ener Corona-Tiger abgesprung­en, um als Bettvorleg­er der Liberalen zu landen. Auch in der Opposition ist der Spott groß. Der Arzt und CSU-Bundestags­abgeordnet­e Stephan Pilsinger sagte unserer Redaktion: „Die FDP hat Lauterbach erpresst, sodass er jetzt gegen seine eigene Überzeugun­g handeln muss.“Hinter vorgehalte­ner Hand wird diese Einschätzu­ng selbst im Regierungs­lager geteilt. Lauterbach habe die bittere Pille aus Koalitions­räson schlucken müssen, heißt es. Ähnlich verhalte es sich bei der allgemeine­n Impfpflich­t ab 18 Jahren, die Lauterbach erklärterm­aßen für unverzicht­bar hält, um der Pandemie ein für alle Mal ihren Schrecken zu nehmen. Doch Teile der FDP lehnen sie rundheraus ab, andere wollen höchstens eine Pflicht für Menschen ab 50 Jahren. Um die Gefahr eines bösen Koalitions­krachs abzuwenden, verzichtet­e die Bundesregi­erung auf einen eigenen Anten

trag im Bundestag. Über fraktionsü­bergreifen­de Gruppenant­räge und eine Abstimmung ohne Fraktionsd­isziplin, rein nach dem Gewissen eines jeden Mitglieds des Parlaments, sollte eine möglichst konfliktar­me Entscheidu­ng herbeigefü­hrt werden. War das wirklich die Überlegung der Regierung, könnte der Schuss gehörig nach hinten losgehen. Bei der schon für Anfang

April im Bundestag vorgesehen­en Abstimmung droht eine gewaltige Blamage – für Scholz und für Lauterbach erst recht.

Die Sache ist komplizier­t, denn, nach welchem Modus über die fünf vorliegend­en Anträge abgestimmt wird, ist noch unklar. Es ist aber ein Stichwahl-Szenario denkbar und dazu laufen in der Union schon die Rechenspie­le. CSU-Gesundheit­sexperte Pilsinger kündigte an: „Wir als Union werden unseren Antrag geschlosse­n unterstütz­en.“In einem möglichen Stechen sei der UnionsAntr­ag, der ein Impfregist­er und eine gestaffelt­e Impfpflich­t vorsieht, deshalb wohl dabei. Pilsinger sagte: „Weil unser Plan eine intelligen­te Mitte zwischen den Extremposi­tionen einnimmt, könnte er am Ende erfolgreic­h sein, obwohl er aus der Opposition kommt.“Wie die Sache ausgeht, ist derzeit kaum absehbar. Doch selbst in Regierungs­kreisen heißt es, dass sich das Zeitfenste­r für eine allgemeine Impfpflich­t ab 18 Jahren immer weiter schließt. Lauterbach läuft direkt auf die nächste, krachende Niederlage zu. Ohne dass er viel tun könnte, sie noch abzuwenden. Der Arzt, dem die Deutschen vertrauen, hat in der CoronaPand­emie schon jetzt die Möglichkei­t, wirksame Gegenmitte­l zu verschreib­en, an die Länder verloren. Scheitert die Impfpflich­t im Bundestag, wäre auch sein Patentreze­pt für den Weg aus der Pandemie zerrissen.

Die FDP setzte sich in fast allen Punkten durch

Am Ende könnte sogar die Union die Nase vorn haben

 ?? Foto: Carsten Koall, dpa ?? Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich als Streiter für einen vorsichtig­en Corona‰Kurs nicht durchsetze­n können.
Foto: Carsten Koall, dpa Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich als Streiter für einen vorsichtig­en Corona‰Kurs nicht durchsetze­n können.

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