Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Jazz, dass es einem heiß und kalt wird
Das Festival startete mit einem Auftritt des All Star Tentett so traditionell wie unverdrossen
„Das ist gelebte Solidarität“– Gerd Horseling von den „Bürgern für Friedberg“zeigte sich glücklich, als er die Bühne der Rothenberghalle erklomm. Alle waren bei der Stange geblieben, um in finsteren CoronaZeiten den Friedberger Musiksommer unverdrossen weiterleben zu lassen: Sponsoren, Politik, natürlich die Künstler, für die Friedberg „eine Art musikalische Heimat“geworden ist“– und das Publikum. Und es sah schon sehr gut aus, 200 Plätze, ausverkauft. Sie wollten „ihre“Friedberg Jazz Allstars traditionell zur Eröffnung erleben. Und da lief es allen sozusagen heiß und kalt über den Rücken beim Dargebotenen; „Hot and cool“war der Abend, der gestern wiederholt wurde, betitelt.
Selbstverständlich mittendrin und an der Klarinette war KarlHeinz Steffens, der multibegnadete künstlerische Leiter des Musiksommers. Er zeigte sich in Moderation wie Spiel launig und zudem emotional erfreut darüber, dass alles wieder weitergeht. Bewunderung erwies er Thomas Zoller, dem Dresdner Jazzprofessor, inzwischen eine Ikone und Institution des Festivals. Als Saxofonist hatte er alle Stücke für Friedberg arrangiert – und die Programmidee effektvoll umgesetzt. Das zehnköpfige Friedberger All Star Tentett (ein ungewöhnlicher Besetzungsname, da kleine Formationen normalerweise beim Nonett enden) war mit Steffens und Zoller konzentriert und befeuernd bei der Sache: Tal Balshai (Piano), Andreas Binder (Horn), Eberhard Budziat (Posaune, Tuba), Michael Griener (Schlagzeug), Robert Nagel (Saxophon), Claus Reichstaller (Trompete) Jan Roder (Bass) und Karl Schloz (Gitarre).
Ein Gefühl wie „aus dunklen Zeiten nach oben“konnte man beim
Auftakt spüren: Thelonius Monks „Straight, No Chaser“hebt mit einem düster wühlenden, komplex in sich drehendem Drum-Solo an, als ob sich die mythische Golem-Figur aus der Erde ringt – angetrieben dann vom lauernden Bass, einem glitzernd virtuosen Piano und bald heftig begrüßt von den Saxofonen und den Blech-Chören.
Demgegenüber war Count Basies „Teddy“fast schon pausbäckigfröhlich tönender Swing. Was Zoller aus dem „Surabaya Johnny“(Weill/ Brecht) an Motiv-Funken herauslöst, ballt, auflädt, um einen tiefen Blechsound ungewöhnlicher Farben zu zaubern, der den Song trotzdem erkennen lässt, war spektakulär, elektrisierend. Und stärker als später die Weill-Hommage „Bilbao“.
Ein sattes Stück New Orleans mit virtuos blitzenden Soli (unter anderem Gitarre, Trompete, Zollers aberwitzig fantasievolle Klanggirlanden) konnten dann mit zwei Louis Armstrong-„Heroes“genossen werden. „Dass ich so was noch erleben durfte, Rock im BigbandFormat“, kokettierte Klarinettist Steffens bei einem 60er-Jahre-Kultstück von „Canned Heat“: Der stoisch kulminierende Drive von „On The Road Again“wurde hinreißend reanimiert und tönte auch ohne die charakteristische Fistelstimme des Sängers Alan Wilson voll vereinsamter Aura. Für das volle Rockband-Feeling sorgte vor allem die Power von Gitarrist Schloz.
„Lennies Pennies“(Lennie Tristano) funkelte durch fast ironisch kombinierte Klarinetten-Juchzer zur Tuba – was fast schon eine Art gewaltsame Feuerwalze auslöste, angeführt von Michael Grieners Schlagzeug. Und der hatte auch einen großen Auftritt mit einer kolossalen Art-Blakey-Hommage. Die vierteilige „Drum Thunder Suite“reicht von archaischen RhythmusExplosionen bis zu satirischen Barund Militärmarsch-Parodien. Grandios.
Das Finale und ein hinreißender „Rauswerfer“(Steffens) war Ray Anthonys „Boogie“, dieser Boogie der mittlerweile 99-jährigen JazzLegende. Riesenapplaus für die „All Stars“, nicht „Old Stars“.