Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hochbegabt – Pech gehabt?
Warum sich überdurchschnittlich intelligente Kinder und ihre Eltern im Allgäu im Stich gelassen fühlen
Allgäu Hochbegabte Kinder und deren Eltern fühlen sich im Allgäu häufig im Stich gelassen. „Anders als in Städten wie München, Augsburg oder Würzburg gibt es in unserer Region keine Hochbegabtenklassen, um die Kinder gezielt fördern zu können. Das Thema Hochbegabung ist generell im Allgäu noch nicht richtig angekommen“, kritisiert Christine Huber, Leiterin der neu gegründeten Elterngruppe Oberallgäu der „Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind“.
Die Begabten-Pädagogin warnt davor, die Bedürfnisse überdurchschnittlich kluger Kinder zu unterschätzen: „Wenn sie nicht angemessen gefördert werden, kann das nicht nur ihre Entwicklung blockieren, sondern sie können psychische
Probleme entwickeln.“Von Hochbegabung wird in der Psychologie ab einem Intelligenzquotienten von 130 gesprochen. Auf etwa zwei Prozent der Bevölkerung trifft dieses Kriterium zu. „Hochbegabte Kinder sind kognitiv überdurchschnittlich weit. Sie denken und kombinieren schnell, sind wissbegierig und verfügen über eine hohe Auffassungsgabe. Oftmals interessieren sie sich schon im Kindergartenalter für komplexe Themen wie den Weltraum“, erklärt Huber.
Zusammen mit der bereits bestehenden Elterngruppe im Ostallgäu will sie mit der neuen Gruppe im Oberallgäu das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Kinder stärken und ein Netzwerk aufbauen. Zu diesem zählen Eltern, Kinder, Psychologen, Erzieher und Lehrer. Erste außerschulische Workshops für hochbegabte Kinder fanden bereits in Kempten statt. Darüber hinaus will sich Huber beim Kultusministerium für Hochbegabten-Schulklassen im Allgäu einsetzen.
Derzeit gibt es in Bayern acht
Gymnasien, die eine solche Möglichkeit anbieten. In Oberbayern gibt es mit München und Gauting zwei Standorte; in den weiteren sechs bayerischen Bezirken jeweils einen. In Schwaben handelt es sich um das St.-Stephan-Gymnasium in Augsburg. Für Huber ist das nicht genug. Für eine Familie aus dem Allgäu seien die Fahrtwege zu lang. „Wer auf dem Land lebt, hat Pech gehabt. Das scheint das Motto zu sein“, sagt Hubert, die sich damit nicht abfinden will. Denkbar sei auch, über einen privaten Träger spezielle Angebote für hochbegabte Kinder zu schaffen.
Als nicht ausreichend empfindet Huber indes das Angebot an den sogenannten Begabtenstützpunkten, zu denen im Allgäu das BernhardStrigel-Gymnasium Memmingen sowie das Gymnasium Marktoberdorf
zählen. Dort können begabte Schüler spezielle Kurse besuchen, die dann beispielsweise am Freitagnachmittag stattfinden. „Grundsätzlich ist jede Förderung willkommen und dazu zählen diese Kurse“, sagt Huber. „Aber die Kinder brauchen maßgeschneiderte Lösungen für den Alltag.“Für hochbegabte Kinder könne es zum Problem werden, „wenn sie nicht sein können, wie sie sind.“In einer „normalen“Schulklasse würden sie häufig ihre Fähigkeiten verstecken, um dazuzugehören und nicht aufzufallen. „Diese Anpassung kann schwere psychische Probleme verursachen.“
Die Möglichkeit, eine Jahrgangsstufe zu überspringen, sei für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nur dann eine Lösung, „wenn Eltern und Schule diesen Prozess kompetent begleiten.“