Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stadt der tausend Pfeifen
In Augsburg finden sich einzigartige Orgeln. Die älteste war schon im 18. Jahrhundert nicht mehr gut genug und wurde nach Gabelsbach verkauft. Eine andere überlebte wie durch ein Wunder die Bombennacht (Folge 2)
Die Königin der Instrumente wird die Orgel genannt, wegen ihrer Größe, ihrer Ausstattung und ihrer Möglichkeiten. 2021 ist sie Instrument des Jahres. Anlass für uns, in einer Serie Geschichten rund um die Orgel zu erzählen – über Organisten, besondere Instrumente und Musikstücke. In der zweiten Folge haben wir uns auf die Suche nach besonderen Orgeln begeben, die Recherche führte auch über die Stadtgrenzen hinaus.
Kaum jemand weiß es: Augsburg ist eine Orgelstadt. Hier gab und gibt es nicht nur zahlreiche, sondern auch einzigartige Exemplare des „Königs aller Instrumenten“, wie Wolfgang Amadé Mozart treffend formulierte. Der Salzburger beherrschte das Orgeltraktieren sehr gut und bewies das bereits als Elfjähriger bei einem Wettstreit in Biberbach. In Augsburg spielte er als Halbwüchsiger, zwischen den Flirts mit seinem Bäsle und dem Besuchen bei Klavierbauer Andreas Stein, unter anderen auch die Ulrichsorgel. Damals stand in der Ulrichsbasilika noch die „Fuggerorgel“, die 1580 von Jakob Fugger gesponsert worden war.
Ihre Erweiterung anno 1607, die im Zuge auch die prachtvollen Malereien auf dem Orgelgehäuse hervorbrachte, besorgte der Orgelbauer Max Günzer, der zwei Jahre später eine Renaissanceorgel in der Barfüßerkirche errichtete. Die wurde 1757 nach Gabelsbach verscherbelt. Ihr „kindisch Grindwerk“, so der O-Ton damals, entsprach nicht mehr dem gängigen Geschmack. Damit besitzt Gabelsbach heute die älteste bekannte Orgel im süddeutschen Raum und ist Pilgerstätte für Organisten und Orgelfreunde.
Ersetzt wurde sie in Augsburg durch eine barocke Prunkorgel von Andreas Stein anlässlich 200 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Stein wiederum baute 1775 die Fuggerorgel in St. Ulrich um – man sieht, manche Namen tauchen in der
Augsburger Orgelbaulandschaft immer wieder auf.
Fast ein Jahrtausend umfasst die Geschichte der Orgeln in St. Ulrich. Gleiches gilt für den Mariendom. Mehrmals wechselte hier der Standort des Instruments – kein Wunder bei 113 Metern Kirchenlänge. Heute ist in diesem riesigen Dom die kleinste und dienstälteste Domorgel Deutschlands zu finden. Erbaut wurde das schmucke Kleinod, das nur 36 Register und zwei Manuale besitzt, im Jahre 1904 von Franz Borgias Maerz. Angeblich war ein Zwillingsinstrument auf der Gegenseite angedacht gewesen. Ausgeführt wurde allerdings nur eine, doch die hat es in sich. Positioniert ist sie seitlich, freischwebend, und so ihren ganz besonderen Klang ungehindert verteilend. Zudem funktioniert sie pneumatisch, also mittels Luftdruck und dadurch geräuschvollem Tastenanschlag und leicht verzögerter Tonansprache.
Bei der Schmahl-Orgel in St. Andreas in Herrenbach machte der Wind zunächst Geräusch, viel Geräusch: Die Windlade – zuständig für die Windversorgung der Orgelpfeifen – klapperte, und zwar „fürchterlich“, so Robert Knöpfler. Der Orgelbaumeister ist der Inhaber der Augsburger Traditionsorgelbauwerkstatt Kubak. Firmengründer Rudolf Kubak durfte in den 60er Jahren das einzigartige barocke Instrument von 1737 instandsetzen. Sein fachmännischer Blick in die Windlade brachte die Ursache des Klapperns an den Tag: Dort abgelegt und vergessen worden waren eine Schriftrolle mit Rezepturen für Kirchenmaler, Geigenschnecken, Griffbretter und weitere Instrumententeile, die in St. Andreas begutachtet werden können. Der Ulmer Orgelbaumeister Georg Friedrich Schmahl und seine Söhne hatten sich demnach auch im Geigenbau versucht. Damals sah man das Metier nicht so eng: Ein Orgelbauer konnte im 18. Jahrhundert problemlos auch Geigen bauen und umgekehrt.
Diese einzige noch nahezu vollständig erhaltene Orgel von Georg Friedrich Schmahl sen., auf der angeblich Wolfgang Amadé Mozart höchstselbst gespielt hat, entstand vor fast 300 Jahren für die HeiligGeist-Spitalkirche, wurde nach der Säkularisation 1815 notdürftig auf einer Empore gelagert und überlebte die Bombennacht 1944 zwar nicht ganz unverletzt, aber doch wie durch ein Wunder. Nach über 20 Jahren Dornröschenschlaf siedelte sie 1968 in die damals neu gebaute moderne Kirche St. Andreas über und zieht heute ebenfalls viele Bewunderer an. Die Verbindung des puren Barocks der einmanualigen Orgel mit dem modernen Betonbau der Kirche St. Andreas ist ausgesprochen reizvoll.
Wesentlich jünger, aber ebenfalls eine Attraktion ist die 2008 eingeweihte Schmid-Orgel in St. Elisabeth. Klanglich folgt sie der deutschen Orgelromantik. Optisch erinnert sie an die Orgel der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles und ist europaweit einzigartig. Hier wie dort stehen die Holzorgelpfeifen angeschrägt, an Mikado-Stäbe erinnernd, in St. Elisabeth noch dazu in leuchtenden Regenbogenfarben, die mittels einer Lichtanlage verlebendigt werden. Die größte Holzpfeife links außen ist mit Rosen gestaltet und verweist auf das Rosenwunder der heiligen Elisabeth. Gestaltet wurde das fantastische Instrument von Andreas Armin d’Orfey, eingeweiht von Orgellegende Naji Hakim. Ihr außergewöhnlicher Prospekt „lässt schon jetzt auf Erden durch das Dunkel hindurch das Himmlische Jerusalem erahnen“, so Andreas Armin d’Orfey.