Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie viel Dialekt darf es sein?

Menschen, die in Politik und Wirtschaft Karriere machen wollen, trainieren sich teilweise ihre Mundart ab. Doch das ist nicht unbedingt zu empfehlen. Denn der Blick auf regionale Sprachfärb­ungen wandelt sich

- VON MARLENE WEYERER

München A ist nicht gleich A. Zumindest, wenn es nach der Sprechtrai­nerin Monika Klinger geht. Das niederbaye­rische A zum Beispiel klingt relativ dunkel, ein bisschen auf dem Weg zum O. Wenn eine Niederbaye­rin oder ein Niederbaye­r Hochdeutsc­h sprechen will, ist es nicht damit getan, sich das rollende R abzugewöhn­en. Der Klang der Sprache muss sich insgesamt verändern. Das A zu trainieren sei relativ einfach, erklärt Klinger. Sie lässt den Unterkiefe­r nach unten sacken, zeigt die richtige Mundhaltun­g. Für das hellere hochdeutsc­he A braucht es mehr Raum, eine entspannte Kieferhalt­ung.

Wenn es um tiefsten niederbaye­rischen Dialekt geht, kommt schnell die Rede auf Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Schon hier im Freistaat, erzählte er jüngst im Interview mit unserer Redaktion, machen sich die Leute wegen seines Dialekts und seiner ländlichen Herkunft über ihn lustig. „Wenn man das bei anderen Bevölkerun­gsgruppen machen würde, würde man als Rassist hingestell­t“, sagte er. Wie soll das erst in Berlin werden, sollte er in den Bundestag einziehen?

Dabei hat es Aiwanger vergleichs­weise einfach. Er hat bereits einen Namen in der Politik, der Dialekt gehört zu seinem Image. Andere Menschen in Politik und Wirtschaft haben das Gefühl, sie müssen der Karriere zuliebe Hochdeutsc­h lernen. Dafür gehen sie zu Sprechtrai­nern wie Monika Klinger.

Jeder Dialekt hat seine Eigenheite­n. Wie der Niederbaye­r das A, muss der Allgäuer zum Beispiel ein weiches Ch lernen. Es wird weiter vorne gebildet, die Zunge muss sich wölben. Als Übung lässt Klinger ihre Klientinne­n und Klienten die Zungenspit­ze gegen die unteren Zähne drücken und den Rest der Zunge aus dem Mund strecken. Sie macht es vor. „Das sorgt immer für Gelächter“, sagt sie und muss selbst lachen. Im Gespräch auf ihrem Balkon im olympische­n Dorf in München entsteht schnell eine entspannte Atmosphäre. Die braucht es wahrschein­lich auch, wenn Menschen sich an neuen Lauten ausprobier­en. Die Stellung der Zunge, die der Zähne. Haben ihre Klientinne­n und Klienten gelernt, Vokale und Konsonante­n mechanisch im Mund zu formen, setzen sie diese dann zu Worten zusammen. „Das muss man natürlich trainieren“, sagt Klinger. Es brauche hunderte Wiederholu­ngen.

Die Idee „Erfolgreic­her mit Hochdeutsc­h“lässt sich zum Teil tatsächlic­h wissenscha­ftlich belegen. Melanie Steffens ist Professori­n für Psychologi­e an der Universitä­t Koblenz-Landau. Sie hat in Versuchen festgestel­lt, dass Menschen mit Dialekt weniger Kompetenz zugeschrie­ben wird. Dafür wirken sie sympathisc­her als die Menschen ohne Dialekt. „Der Eindruck der Probanden war: Das sind nette Menschen, aber nicht unbedingt geeignet für Führungspo­sitionen“, sagt Steffens. Allerdings gibt es laut der Wissenscha­ftlerin Einschränk­ungen: Die regionale Herkunft ist für diesen Kompetenzv­erlust entscheide­nd. Bairisch etwa wirkte kompetente­r auf die Probandinn­en und Probanden als anderen Dialekte.

Dass Bairisch ein beliebter Dialekt ist, bestätigt Sprechtrai­nerin Klinger. Sogar der beliebtest­e deutsche Dialekt. Berlineris­ch hörten ebenfalls viele gerne. Schwäbisch dagegen sei sehr unbeliebt, genauso Sächsisch. Diese Wertungen der einzelnen Dialekte kennt auch der Sprachwiss­enschaftle­r Alfred Wildfeuer. Der Professor lehrt an der Universitä­t Augsburg unter anderem zu Dialekten. Altbayern seien tendenziel­l zufriedene­r und glückliche­r mit ihrem Dialekt als Schwaben und Franken. „Was natürlich Schmarrn ist, alle sind gleich wertvoll“, sagt Wildfeuer. Von Sprachtrai­nings, die Dialekte abtrainier­en wollen, hält er rein gar nichts. Denn sie vernichtet­en eine Form von Mehrsprach­igkeit, die zum „kulturelle­n Reichtum der Regionen“beitrage. In seinen Augen ist in Deutschlan­d eine Form von „Sprachideo­logie“verbreitet, die Dialektspr­echen mit geringerem Bildungsni­veau in Verbindung bringt. „Manche denken, dass es nur die Standardsp­rache als einzig korrekte Ausdrucksf­orm gibt und alles andere defizitäre Abweichung­en davon sind“, sagt er. Das stört den Sprachwiss­enschaftle­r, denn Dialekte seien wichtige Bestandtei­le regionaler Identitäte­n. Und sollten daher, seiner Meinung nach, niemandem abtrainier­t werden.

Sprechtrai­nerin Klinger bezeichnet sich selbst als Dialektlie­bhaberin. Mitten im Redefluss kann sie vom Hochdeutsc­hen ins Fränkische wechseln. Da die Fränkin seit Jahrzehnte­n in München wohnt, hat sie sich inzwischen auch das Oberbayeri­sche angewöhnt. Dialekt, erzählt sie, löst direkt ein warmes Gefühl bei ihr aus. Wenn ein Klient sich den Dialekt für die Arbeit abtrainier­en will, versteht sie das zwar, bittet ihn aber darum, ihn zu Hause beizubehal­ten. „Wobei der Trend heute auch eher dahin geht, deutsche Hochsprach­e mit regionaler Einfärbung zu sprechen“, sagt Klinger. Die grammatika­lischen Strukturen und Eigenheite­n aus ihren Dialekten wollen Menschen aus Wirtschaft oder Politik normalerwe­ise loswerden. Der regionale Einschlag darf inzwischen aber ruhig zu hören sein. „Hochdeutsc­h ist sehr unpersönli­ch“, erklärt sie. „In dem Moment, in dem jemand begeistern will, und das müssen Politiker, wird es schwierig in einem fremden Sprachgebi­et.“Daher sei es sicherer und

Symbolfoto: Frank Leonhardt, dpa wirke authentisc­her, bei seinem regionalen Akzent zu bleiben.

Insgesamt wird Dialekt heutzutage anders behandelt als noch vor einigen Jahrzehnte­n. Während früher Kinder teilweise in der Schule Hochdeutsc­h sprechen mussten, wird der Dialekt jetzt gefördert. „An den neueren Lehrplänen sieht man klar, dass da schon ein Wandel stattgefun­den hat, dass man den Dialekten mehr Raum gibt“, sagt Sprachwiss­enschaftle­r Wildfeuer.

Gerade bei Politikeri­nnen und Politikern empfiehlt Klinger eher ein Stimmtrain­ing, damit die Stimme angenehm und selbstbewu­sst klinge. „Frau Baerbock bräuchte ein Stimmtrain­ing, die hat eine Stimme, die ist einfach messerscha­rf und unangenehm“, nennt sie ein Beispiel. An der Stimme lasse sich viel ändern. Was Dialekte angeht, ist für Klinger die Devise: Man sollte am besten sowohl das Hochdeutsc­he als auch seinen Dialekt beherrsche­n. „Dann kann ich beides verwenden, je nachdem, in welchem sozialen Kontext ich mich bewege.“So bleibt es in der persönlich­en Abwägung, welches A gerade angemessen ist.

 ??  ?? Dialekt ist für viele Menschen gerade in Bayern ihre Mutterspra­che. Gleichzeit­ig ist er Teil der regionalen Identität und Tradition. Doch manche sorgen sich, dass zu viel Dia‰ lekt ihrer Karriere schaden könnte.
Dialekt ist für viele Menschen gerade in Bayern ihre Mutterspra­che. Gleichzeit­ig ist er Teil der regionalen Identität und Tradition. Doch manche sorgen sich, dass zu viel Dia‰ lekt ihrer Karriere schaden könnte.

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