Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Neue Flaute für die Windräder
Die Untersuchung einer Bundesbehörde zur Schallbelastung durch Windräder war falsch. Sie diente Windkraftgegnern als Argument. Warum dennoch nicht zu erwarten ist, dass der Ausbau an Fahrt gewinnt
Berlin Es klingt paradox: Ein Schall, den Menschen nicht hören können, dient ihren Gegnern als lautes Argument gegen Windräder. Dieser sogenannte Infraschall liegt im tiefen Frequenzbereich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Gehörs. Dennoch behaupten Windkraftgegner, die durch die Drehung der Windräder entstehenden Schallwellen lösten Schlafstörungen und Schwindel aus oder verursachten Ohrensausen. Sie konnten sich bisher auf eine Berechnung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit Sitz in Hannover stützen, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht.
Doch diese Untersuchung aus dem Jahr 2005 ist falsch, wie sich jetzt herausstellte. Sie setzte den Schalldruck viel zu hoch an und verrechnete sich um den Faktor 10 000. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) entschuldigte sich für den schwerwiegenden Rechenfehler seiner Behörde. „Es tut mir sehr leid, dass falsche Zahlen über einen langen Zeitraum im Raum standen“, sagte Altmaier. Die Akzeptanz von Windanlagen an Land habe „ein Stück weit“darunter gelitten, meinte der Minister.
In Deutschland hat der Bau von Windrädern seit einigen Jahren deutlich nachgelassen. Vergangenes Jahr gingen 420 ans Netz. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste die vierfache Zahl aufgestellt werden, damit Deutschland weniger Kohlendioxid in die Luft bläst. Die beiden großen Länder im Süden – Bayern und Baden-Württemberg – sind dabei besonders zögerlich. Trotz Grünwerdung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kamen 2020 im Freistaat acht Windräder dazu, in Baden-Württemberg unter dem Grünen-Landesvater Winfried Kretschmann waren es zwölf.
Die Flaute hat mit der Umstellung der einst üppigen Förderung auf gewinndämpfende Ausschreibungen zu tun, aber auch mit dem Widerstand vor Ort. Eine Übersicht auf der Internetseite „Windwahn“listet über 1000 Bürgerinitiativen in der Republik auf. „Die Korrektur der falschen Zahlen nimmt Windkraftgegnern das einzige noch verbliebene Argument im Bereich Infraschall“, sagte die Präsidentin des
Bundesverbands Erneuerbare Energie, Simone Peter, unserer Redaktion. Infraschall von Windenergieanlagen sei „nicht gefährlich oder in irgendeiner Weise schädlich“.
Die frühere Grünen-Chefin Peter hofft, dass der Rückhalt der Bürgerinitiativen gegen Windräder schwindet. Deren Protest sorgte dafür, dass Gemeinderäte in ganz Deutschland gegen den Bau der weißen Spargel gestimmt haben. Dass der Widerstand zusammenbricht und wieder hunderte Windräder pro Jahr mehr aufgestellt werden, steht dennoch nicht zu erwarten. Die gesundheitlichen Folgen des Infraschalls waren eines der Argumente, aber nicht das einzige. Auch die Verschandelung der Landschaft wurde und wird angeführt. Am wirkmächtigsten ist der Naturschutz – besonders der Schutz von Vögeln und Fledermäusen. Vor allem vor Gericht ist das ein starker
Hebel gegen Windräder. Eine Auswertung der Fachagentur Windenergie an Land kam 2019 zum Ergebnis, dass die Hälfte der Klagen mit der Gefahr für Vögel und Fledermäuse begründet wird. Ein weiteres Drittel bezieht sich auf Formfehler im Genehmigungsverfahren. Gegen jedes fünfte geplante Windrad werde vor Gericht gestritten. Folge: Es dauert inzwischen sechs bis sieben Jahre bis zum Bau. Behörden prüfen aufwendig und fordern Gutachten an, damit Genehmigungen gerichtsfest sind. Klagen ziehen den Prozess in die Länge.
Zur Realität gehört, dass die Klagen bei weitem nicht nur von Windkraftgegnern gestellt werden, sondern viel stärker von Naturschützern. Sie strengten der Auswertung der Fachagentur zufolge 60 Prozent der Gerichtsverfahren an.
Die Windkraftgegner wollen trotz des Rechenfehlers der Bundesanstalt für Geowissenschaften daran festhalten, dass Windräder schwere Erkrankungen auslösen können. „Die erheblichen Gesundheitsprobleme zahlreicher Anwohner von Windanlagen wurden und werden durch einen Rechenfehler jedenfalls nicht gelindert“, erklärte das Bündnis Vernunftkraft, das sich als Zusammenschluss der lokalen Initiativen versteht. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Anwohner über Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Herzrasen klagen – was Ärzte auf die Windräder zurückführen. Psychologen von der Universität Auckland glauben hingegen, dass Erkrankungen eher ausgelöst werden, wenn Anwohner beunruhigende Berichte über mögliche gesundheitliche Folgen gelesen oder gesehen haben.
Wie reagieren die Bürgerinitiativen?