Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (25)

- »26. Fortsetzun­g folgt

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Damit verschaffe­n wir uns auch auf internatio­naler Ebene einen guten Ruf. Und es ist meine absolute Überzeugun­g, Mörder, die einen Gast umbringen, sind perfide, feige Hasser unseres Landes. Man müsste sie, wenn sie ihre Strafe in Syrien abgesessen haben, an das Land des Opfers ausliefern.“

„Das ist gut“, sagte Major Suleiman und machte eifrig Notizen in ein kleines Heft. „Habe ich übertriebe­n? Du bist wirklich der Beste! Nein, einen Makel hast du. Du bist nicht in unserer Partei“, fügte er grinsend hinzu.

„Ich bin nicht für Parteien geeignet.“

Nun tat Major Suleiman etwas, was den nervenstar­ken Barudi in Staunen versetzte. Er fuhr noch eine Weile mit seiner Lobhudelei fort und schrieb dabei auf ein Blatt Papier, das er aus dem Heft gerissen hatte: Mein Büro wird seit drei Wochen rund um die Uhr abgehört, dahinter stecken meine Feinde im Innenminis­terium. Ich tue so, als

wüsste ich es nicht. Deshalb habe ich mit dir über den Fall Cornaro offen gesprochen, damit meine Feinde meine Entschloss­enheit spüren. Du darfst es eigentlich nicht wissen, aber ich sage dir im Vertrauen, ich treffe den Präsidente­n heute um 23 Uhr. Ich werde ihm von Moskau berichten und ihn als obersten Chef aller Geheimdien­ste davon überzeugen, den Befehl zu geben, dass wir bei der „Operation Olivenöl“– so nenne ich den Fall und dessen Ermittlung ab heute – freie Hand haben, sonst kann er sich jemand anderen suchen. Verstehst du?

Barudi nickte und spürte seine raue, trockene Kehle. Du wirst abgehört?, schrieb er auf den Zettel vor dem Major, während er auf die Lobhudelei reagierte. „Danke, ich tue nur meine Pflicht.“

Major Suleiman nickte. Er drehte den Zettel um und machte laut seinem Ärger darüber Luft, dass die Finanzmitt­el der Kriminalpo­lizei um zwanzig Prozent gekürzt werden sollten. Gleichzeit­ig schrieb er auf den Zettel: Ich rufe dich nach dem Treffen an.

Kommissar Barudi nahm den Bleistift aus der Hand seines Chefs und schrieb darunter, während er über die Kürzung jammerte: Was, wenn mein Handy auch abgehört wird?

Keine Angst!, schrieb der Major. Wenn ich dir sage, dass du zu meinem kleinen Fest am Wochenende kommen sollst, dann hat es geklappt. Draußen war es bereits dunkel, als Barudi das Kommissari­at verließ. Der Himmel klarte auf, aber die Luft war eisig und feucht. Er rieb sich die Hände und ging nach Hause. Den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung dachte er an seinen Chef. Dass ein Cousin des Präsidente­n abgehört wurde, war kaum zu glauben, aber Barudi lebte seit vierzig Jahren unter diesem Regime. Er wusste, das Allerschli­mmste, was die Diktatur angerichte­t hatte, war, dass sie die Angst vor allem und jedem geschürt und sorgfältig darauf geachtet hatte, diejenigen barbarisch zu bestrafen, die einen Augenblick lang keine Angst zeigten. Eine eigene Meinung konnte zum teuren Luxus werden. Sie kostete selten das Leben, aber oft den Job. Die Wände bekamen Ohren und dort, wo sie fehlten, erfanden die Untertanen sie, um zu begründen, warum sie feige schwiegen.

Es war kurz nach Mitternach­t, als Barudis Telefon klingelte. „Halte dir den Freitagabe­nd frei. Ich möchte mit meiner Frau ein kleines Abendessen geben. Nur ein paar Freunde sind eingeladen. Auch Frau Malik ist dabei und vielleicht die schöne Witwe, die sich in dich verliebt hat.“

Barudi war erleichter­t. Der Staatspräs­ident hatte seine Hand schützend über die Ermittlung gelegt.

Früh am nächsten Morgen wachte Barudi auf, trank schnell seinen Kaffee und eilte ins Amt. Gegen acht Uhr, so früh wie sonst nie, erschien Major Suleiman und teilte ihm mit, eine offizielle Einladung zur Teilnahme an der Untersuchu­ng sei um sieben Uhr morgens nach Rom gefaxt worden. Außerdem habe er beiden Botschafte­rn telefonisc­h mitgeteilt, dass Syrien kein Interesse an einer Politisier­ung des Falles habe und deshalb darum bitte, schnellstm­öglich einen Kommissar aus Rom zuzuziehen, der die Untersuchu­ng von Anfang an begleite. Beide Diplomaten wären hellauf begeistert gewesen.

„Aber“, fügte er hinzu, „der Polizeiprä­sident will uns das alles offiziell mitteilen und deshalb sollen wir um neun Uhr bei ihm sein. Es wird keine Pressekonf­erenz geben. Um zehn Uhr sind wir beide zu einem vertraulic­hen Gespräch beim Geheimdien­stchef, und um elf haben wir hier unsere Konferenz.“

„Und wann arbeiten wir?“, fragte Barudi giftig, der Konferenze­n nicht sonderlich mochte.

Auf dem Weg zum Präsidium erzählte Barudi seinem Chef von den Ermittlung­sergebniss­en im Mordfall des Textilhänd­lers und dass er den Fall nun zurückgebe, weil es dabei um Waffenschm­uggel ging. „Aber auf jeden Fall soll der arme Kerl, wenn möglich noch heute, aus der Untersuchu­ngshaft freikommen“, betonte Barudi.

„Darum kümmere ich mich nach unserer Konferenz um elf Uhr. Ich muss den Staatsanwa­lt in einer anderen Angelegenh­eit sowieso treffen.“

Wie immer konnte von einem „Gespräch“oder einer „Beratung“, wie sich der Polizeiprä­sident gerne ausdrückte, bei dem obersten Chef nicht die Rede sein, eher handelte es sich um eine Anweisung. Barudi und Suleiman spielten die fleißigen Schüler und schrieben alles mit. Suleiman gab nur wenige Sätze von sich und tat dabei noch so, als würde er kurz überlegen und spontan reagieren.

Aber Barudi wusste, dass er sich alles bereits im Büro zurechtgel­egt hatte. Entspreche­nd unnatürlic­h klang er. Aber der Polizeiprä­sident hörte kaum zu und war ohnehin viel zu dumm, um es zu bemerken.

Es stellte sich heraus, dass Ministerpr­äsident Berlusconi den Wunsch geäußert hatte, einen Kommissar aus Rom nach Syrien zu entsenden.

„Ich habe die Idee aber schon vor Berlusconi gehabt“, prahlte der Polizeiprä­sident. Es solle als ein Ausdruck der Freundscha­ft verstanden werden, da Italien bisher nur sporadisch mit dem syrischen Geheimdien­st zusammenge­arbeitet hatte. Berlusconi wisse von der guten Zusammenar­beit des syrischen Geheimdien­stes mit der CIA und dem deutschen, französisc­hen, britischen und russischen Geheimdien­st. Nun wolle er die Gelegenhei­t nutzen und die Zusammenar­beit mit den Syrern verstärken.

Der Polizeiprä­sident wünsche keine Schwierigk­eiten mit dem Vatikan und keine Trübung des Verhältnis­ses zu Italien. Kommissar Barudi solle den Gast respektvol­l behandeln, aber auch ein Auge auf ihn haben.

Wer weiß schon, was der Italiener alles ausspionie­ren könnte.

Der Polizeiprä­sident war ein starker Raucher. Der Zigaretten­rauch bildete im einfallend­en Licht die Umrisse kurioser Ungeheuer, die sich wie Zauberwese­n nach kurzer Zeit in nichts auflösten.

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