Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (25)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
Damit verschaffen wir uns auch auf internationaler Ebene einen guten Ruf. Und es ist meine absolute Überzeugung, Mörder, die einen Gast umbringen, sind perfide, feige Hasser unseres Landes. Man müsste sie, wenn sie ihre Strafe in Syrien abgesessen haben, an das Land des Opfers ausliefern.“
„Das ist gut“, sagte Major Suleiman und machte eifrig Notizen in ein kleines Heft. „Habe ich übertrieben? Du bist wirklich der Beste! Nein, einen Makel hast du. Du bist nicht in unserer Partei“, fügte er grinsend hinzu.
„Ich bin nicht für Parteien geeignet.“
Nun tat Major Suleiman etwas, was den nervenstarken Barudi in Staunen versetzte. Er fuhr noch eine Weile mit seiner Lobhudelei fort und schrieb dabei auf ein Blatt Papier, das er aus dem Heft gerissen hatte: Mein Büro wird seit drei Wochen rund um die Uhr abgehört, dahinter stecken meine Feinde im Innenministerium. Ich tue so, als
wüsste ich es nicht. Deshalb habe ich mit dir über den Fall Cornaro offen gesprochen, damit meine Feinde meine Entschlossenheit spüren. Du darfst es eigentlich nicht wissen, aber ich sage dir im Vertrauen, ich treffe den Präsidenten heute um 23 Uhr. Ich werde ihm von Moskau berichten und ihn als obersten Chef aller Geheimdienste davon überzeugen, den Befehl zu geben, dass wir bei der „Operation Olivenöl“– so nenne ich den Fall und dessen Ermittlung ab heute – freie Hand haben, sonst kann er sich jemand anderen suchen. Verstehst du?
Barudi nickte und spürte seine raue, trockene Kehle. Du wirst abgehört?, schrieb er auf den Zettel vor dem Major, während er auf die Lobhudelei reagierte. „Danke, ich tue nur meine Pflicht.“
Major Suleiman nickte. Er drehte den Zettel um und machte laut seinem Ärger darüber Luft, dass die Finanzmittel der Kriminalpolizei um zwanzig Prozent gekürzt werden sollten. Gleichzeitig schrieb er auf den Zettel: Ich rufe dich nach dem Treffen an.
Kommissar Barudi nahm den Bleistift aus der Hand seines Chefs und schrieb darunter, während er über die Kürzung jammerte: Was, wenn mein Handy auch abgehört wird?
Keine Angst!, schrieb der Major. Wenn ich dir sage, dass du zu meinem kleinen Fest am Wochenende kommen sollst, dann hat es geklappt. Draußen war es bereits dunkel, als Barudi das Kommissariat verließ. Der Himmel klarte auf, aber die Luft war eisig und feucht. Er rieb sich die Hände und ging nach Hause. Den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung dachte er an seinen Chef. Dass ein Cousin des Präsidenten abgehört wurde, war kaum zu glauben, aber Barudi lebte seit vierzig Jahren unter diesem Regime. Er wusste, das Allerschlimmste, was die Diktatur angerichtet hatte, war, dass sie die Angst vor allem und jedem geschürt und sorgfältig darauf geachtet hatte, diejenigen barbarisch zu bestrafen, die einen Augenblick lang keine Angst zeigten. Eine eigene Meinung konnte zum teuren Luxus werden. Sie kostete selten das Leben, aber oft den Job. Die Wände bekamen Ohren und dort, wo sie fehlten, erfanden die Untertanen sie, um zu begründen, warum sie feige schwiegen.
Es war kurz nach Mitternacht, als Barudis Telefon klingelte. „Halte dir den Freitagabend frei. Ich möchte mit meiner Frau ein kleines Abendessen geben. Nur ein paar Freunde sind eingeladen. Auch Frau Malik ist dabei und vielleicht die schöne Witwe, die sich in dich verliebt hat.“
Barudi war erleichtert. Der Staatspräsident hatte seine Hand schützend über die Ermittlung gelegt.
Früh am nächsten Morgen wachte Barudi auf, trank schnell seinen Kaffee und eilte ins Amt. Gegen acht Uhr, so früh wie sonst nie, erschien Major Suleiman und teilte ihm mit, eine offizielle Einladung zur Teilnahme an der Untersuchung sei um sieben Uhr morgens nach Rom gefaxt worden. Außerdem habe er beiden Botschaftern telefonisch mitgeteilt, dass Syrien kein Interesse an einer Politisierung des Falles habe und deshalb darum bitte, schnellstmöglich einen Kommissar aus Rom zuzuziehen, der die Untersuchung von Anfang an begleite. Beide Diplomaten wären hellauf begeistert gewesen.
„Aber“, fügte er hinzu, „der Polizeipräsident will uns das alles offiziell mitteilen und deshalb sollen wir um neun Uhr bei ihm sein. Es wird keine Pressekonferenz geben. Um zehn Uhr sind wir beide zu einem vertraulichen Gespräch beim Geheimdienstchef, und um elf haben wir hier unsere Konferenz.“
„Und wann arbeiten wir?“, fragte Barudi giftig, der Konferenzen nicht sonderlich mochte.
Auf dem Weg zum Präsidium erzählte Barudi seinem Chef von den Ermittlungsergebnissen im Mordfall des Textilhändlers und dass er den Fall nun zurückgebe, weil es dabei um Waffenschmuggel ging. „Aber auf jeden Fall soll der arme Kerl, wenn möglich noch heute, aus der Untersuchungshaft freikommen“, betonte Barudi.
„Darum kümmere ich mich nach unserer Konferenz um elf Uhr. Ich muss den Staatsanwalt in einer anderen Angelegenheit sowieso treffen.“
Wie immer konnte von einem „Gespräch“oder einer „Beratung“, wie sich der Polizeipräsident gerne ausdrückte, bei dem obersten Chef nicht die Rede sein, eher handelte es sich um eine Anweisung. Barudi und Suleiman spielten die fleißigen Schüler und schrieben alles mit. Suleiman gab nur wenige Sätze von sich und tat dabei noch so, als würde er kurz überlegen und spontan reagieren.
Aber Barudi wusste, dass er sich alles bereits im Büro zurechtgelegt hatte. Entsprechend unnatürlich klang er. Aber der Polizeipräsident hörte kaum zu und war ohnehin viel zu dumm, um es zu bemerken.
Es stellte sich heraus, dass Ministerpräsident Berlusconi den Wunsch geäußert hatte, einen Kommissar aus Rom nach Syrien zu entsenden.
„Ich habe die Idee aber schon vor Berlusconi gehabt“, prahlte der Polizeipräsident. Es solle als ein Ausdruck der Freundschaft verstanden werden, da Italien bisher nur sporadisch mit dem syrischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte. Berlusconi wisse von der guten Zusammenarbeit des syrischen Geheimdienstes mit der CIA und dem deutschen, französischen, britischen und russischen Geheimdienst. Nun wolle er die Gelegenheit nutzen und die Zusammenarbeit mit den Syrern verstärken.
Der Polizeipräsident wünsche keine Schwierigkeiten mit dem Vatikan und keine Trübung des Verhältnisses zu Italien. Kommissar Barudi solle den Gast respektvoll behandeln, aber auch ein Auge auf ihn haben.
Wer weiß schon, was der Italiener alles ausspionieren könnte.
Der Polizeipräsident war ein starker Raucher. Der Zigarettenrauch bildete im einfallenden Licht die Umrisse kurioser Ungeheuer, die sich wie Zauberwesen nach kurzer Zeit in nichts auflösten.