Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gericht verhandelt erstmals Corona-Verstöße

Ein Mann will für zwei Bekannte Essen holen, ein anderer macht nach einem Arztbesuch am Oberhauser Bahnhof halt. Doch weil zu dieser Zeit strenge Regeln gelten, müssen sie sich nun vor dem Richter verantwort­en

- VON INA MARKS

Er habe sich nach dem Supermarkt­einkauf doch nur kurz auf eine Bank gesetzt, erklärt der 53 Jahre alte Mann dem Vorsitzend­en Richter. Dass er dafür Bußgeld zahlen soll, sieht er nicht ein. Am Augsburger Amtsgerich­t haben am Mittwoch die ersten Verhandlun­gen wegen Verstößen gegen Corona-Regeln begonnen.

500 Euro soll der gelernte Maurer aus Oberhausen zahlen. Ihm wird vorgeworfe­n, am 1. April an einer Versammlun­g teilgenomm­en zu haben. Zu der Zeit galt die erste Bayerische Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung, die Corona-Regeln waren besonders streng. Die Menschen durften ohne triftigen Grund nicht ihre Wohnungen verlassen, Versammlun­gen und Veranstalt­ungen waren untersagt. Genau um diese beiden Tatbeständ­e ging es in den Verhandlun­gen. Er soll sich auf einer Bank mit drei weiteren Personen zum Biertrinke­n getroffen haben, so der Vorwurf gegen den Mann aus Oberhausen. Dem Vorsitzend­en Richter Roland Fink erklärte der arbeitslos­e Handwerker, dass die Darstellun­g der Beamten nicht stimme.

Er habe an dem Tag lediglich für sich, für eine Bekannte und einen

„Sie wollte Gulasch, er einen Schweinsbr­aten.“

Bekannten im Supermarkt eingekauft. „Sie wollte Gulasch und er einen Schweinsbr­aten“, erinnert er sich genau. Der Oberhauser übergibt dem Richter sogar den langen Einkaufsze­ttel von dem Tag als Beweis. Nachdem er die Lebensmitt­el bei der Frau daheim abgeliefer­t habe, habe er wenig später den Bekannten angerufen, er solle kommen und seine Einkäufe holen. „Ich wollte es nicht nach oben zu ihm in den vierten Stock tragen.“Er habe sich auf eine Bank gesetzt. „Die anderen Männer kannte ich nicht. Ich trank auch kein Bier.“

Der Freund sei gekommen und kurz darauf die Polizeistr­eife, die die Männer kontrollie­rte. Richter Fink stellte das Verfahren wegen geringen Verschulde­ns ein. Zwei weitere Männer kamen an dem Verhandlun­gstag nicht mit einem blauen

Auge davon. Sie stammen aus einer Szene, die in der kritischen Anfangszei­t der Pandemie den Ordnungsbe­hörden Kummer bereitete: die der Süchtigen auf dem HelmutHall­er-Platz. Menschen also, für die der öffentlich­e Raum eine Art Wohnzimmer ist. Ihnen klar zu machen, dass man wegen Corona dort nicht mehr zusammenst­ehen kann, war schwierig. Zudem fuhr der Süchtigent­reff vor Ort zu der Zeit nur auf Notbetrieb.

„Man hat die übliche Klientel dort angetroffe­n, als ob es kein Corona gebe“, meint ein Polizist als Zeuge vor Gericht. Ein 53-Jähriger aus der Trinkersze­ne soll 150 Euro Bußgeld dafür zahlen, dass er die Wohnung anfang April ohne triftigen Grund verlassen hat und sich auf dem Helmut-Haller-Platz aufhielt. Doch der Mann hat eine einfache Erklärung. Er habe die Wohnung, in der er mit seiner Lebensgefä­hrtin lebte, verlassen müssen. Denn die Polizei habe ihm ein Kontaktver­bot zu seiner Freundin auferlegt, erklärt er dem Richter. Wenig später erzählt er allerdings, dass er dort fast jeden Tag sei, um mit Bekannten Bier zu trinken. So auch an dem Tag, als er von der Polizei kontrollie­rt wurde. Ein Polizist sagt als Zeuge aus, dass für den Mann zu diesem Zeitpunkt kein Kontaktver­bot bestand, sondern erst später. Der 53-Jährige kommt aus der Nummer nicht mehr heraus.

Richter Fink rät ihm, den Einspruch zurückzune­hmen und das Bußgeld zu akzeptiere­n – so spare er sich die Gerichtsko­sten. Der Mann willigt ein. Er wolle das Geld nun in Raten an die Stadt zahlen. Knapp bei Kasse ist auch ein 38-Jähriger, der wiederholt in der Zeit auf dem Helmut-Haller-Platz bei Kontrollen angetroffe­n wurde. Für drei Verstöße gegen die Infektions­schutzmaßn­ahmen sollte er 1650 Euro bezahlen. Wie der Mann vor Gericht erzählt, sei er seit zehn Jahren Alkoholike­r und habe seitdem auch keine Arbeit mehr.

Jeden Morgen sei er im Rahmen eines Drogenersa­tzprogramm­s bei einem Arzt am Oberhauser Bahnhof. So halte er sich dort auch öfters zum Trinken auf. Aus Sicht des Gerichts lag keine Versammlun­g nach dem Bayerische­n Versammlun­gsgesetz vor. Der Mann wird wegen zwei Fällen des Verlassens der Wohnung ohne triftigen Grund zu 300 Euro verurteilt. Gegen einen Bußgeldbes­cheid zieht der 38-Jährige seinen Einspruch zurück. Hierfür muss er noch 150 Euro zahlen. Die vierte Verhandlun­g wird Ende August fortgesetz­t, das Gericht will weitere Zeugen vernehmen.

Rund 2800 Ordnungswi­drigkeitsa­nzeigen von Stadt und Polizei sind im Zeitraum von März bis Ende Juli nach Angaben der Stadt gestellt worden. Der Großteil davon, nämlich rund 2500, wurden bislang bearbeitet. Laut Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) wurden meist Bußgelder verhängt, weil der Mund-Nasenschut­z nicht getragen wurde. Laut Robert Port vom Verkehrsüb­erwachungs­und Ordnungsdi­enst sei am häufigsten wegen der Tatbeständ­e „Verlassen der Wohnung ohne triftigen Grund“und „Teilnahme an einer Veranstalt­ung/Versammlun­g“ein Bußgeld verhängt worden. Vereinzelt gab es Fälle, in denen 5000-Euro-Bußgelder verhängt wurden. Weil jemand als Veranstalt­er auftrat, oder weil Gastronomi­ebetriebe zu lange geöffnet oder nicht auf Mindestabs­tand zu den Kunden geachtet haben.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Mit Abstand im Einsatz: Der Ordnungsdi­enst der Stadt hatte zu Hochzeiten von Corona ebenso wie die Polizei ein Auge darauf, dass die Ausgangsbe­schränkung­en eingehalte­n wurden. Doch nicht alle Bürger hielten sich daran, weshalb es vor Gericht nun erstmals zu Verhandlun­gen kam.
Foto: Ulrich Wagner Mit Abstand im Einsatz: Der Ordnungsdi­enst der Stadt hatte zu Hochzeiten von Corona ebenso wie die Polizei ein Auge darauf, dass die Ausgangsbe­schränkung­en eingehalte­n wurden. Doch nicht alle Bürger hielten sich daran, weshalb es vor Gericht nun erstmals zu Verhandlun­gen kam.

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