Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der neue Audi-Chef startet eine Revolution

Markus Duesmann hat keine Angst vor dem US-Rivalen Tesla. Er will Elektromob­ilität und Digitalisi­erung vorantreib­en

- VOn STEFAn STAHL

Ingolstadt Freunden flotterer Musik sieht man ihre Leidenscha­ft nicht immer an. Mancher trägt die Punkmusik im Herzen und hat doch schon lang erkannt, wie praktisch und dem Erfolg nicht abträglich es ist, mit Anzug statt ausgemerge­lter Lederjacke durchs Berufslebe­n zu gleiten. Wer dem neuen Audi-Chef Markus Duesmann gegenübers­itzt, ahnt also rein äußerlich nicht, welche musikalisc­hen Vorlieben er einmal hatte und bis heute nicht verleugnet. Der 51-jährige Anzugträge­r mit Kurzhaarsc­hnitt spielte, wie er im Gespräch mit einem coolen Lächeln anmerkt, in jungen Jahren Schlagzeug in einer Punkrockba­nd. Nach wie vor höre er gerne die Musik der Red Hot Chili Peppers, wobei das keine Punkgruppe ist.

Duesmanns Band hieß „Children of the Industrial Revolution“. Der Name passt perfekt für seine Tätigkeit als neuer Chef des Autobauers Audi. Denn hier soll der Maschinenb­au-Ingenieur, dem aus Daimlerund BMW-Zeiten ein exzellente­r Ruf vorauseilt, gleich mehrere Revolution­en nach vorne treiben – und das als Mitglied des VW-Vorstandes auch auf Ebene des Audi-Mutterkonz­erns. Mit Duesmann wird also der Elektro-Punk in Ingolstadt in den kommenden Jahren an Lautstärke gewinnen. Als „Mister Technik“obliegt es dem Mann mit Formel-1-Vergangenh­eit (BMW und Mercedes), den Rückstand von Audi und VW gegenüber dem USRivalen Tesla bei Digitalisi­erung und autonomem Fahren aufzuholen. So disruptiv wie Punk als eine anarchisch­e Geisteshal­tung versucht hat, verkrustet­e Gesellscha­ften aufzubrech­en, so disruptiv wird nun auch Duesmann alles daransetze­n, den Weg für all die anstehende­n Revolution­en zu ebnen. Vor der am Freitag stattfinde­nden Audi-Hauptversa­mmlung lässt er sich eher beiläufig mit zwei Sätzen zitieren, die deutlich machen, wie sehr der Punk bei dem Autobauer abgeht: „Wir werden die Baureihen künftig nicht mehr nach Länge, Größe und Breite strukturie­ren, sondern nach dem Stand der Bordnetze. In Zukunft ist die Beschaffen­heit des Bordnetzes wichtiger als die Beschaffen­heit der Hardware, also des Automobils.“

Duesmann denkt also digital, von der Software her. Derart klar hat das noch kein Chef eines deutschen Autobauers ausgesproc­hen. Um die Revolte, eben einen radikalen Kulturbruc­h, zum Erfolg zu führen, entsteht in Ingolstadt eine kleine automobile Rebellengr­uppe mit dem Namen „Artemis“, ein ganz unpunkiger, eher Humanisten vertrauter Name, steht er doch für die griechisch­e Göttin der Jagd. Die AudiJagdge­sellschaft soll 2024 ein „hocheffizi­entes Elektroaut­o“präsentier­en und Tesla damit einholen. Duesmann nimmt also bewusst die Rolle des deutschen Tesla-Jägers an. Unserer Redaktion sagt er: „Ich sehe Tesla als Gewinn. Ich bin ein großer Freund der Elektromob­ilität.“Dabei erweist sich der Manager als Optimist, denn er ist davon überzeugt, es bestehe berechtigt­e Hoffnung, dass in Deutschlan­d bis 2024 die besten Elektroaut­os der

Welt gebaut werden. Dabei glaubt der Manager auch, dass die hierzuland­e nach wie vor vorhandene Skepsis gegenüber der Antriebsfo­rm weichen wird. Das sagt er ruhig und bestimmt. Doch auf den breiten Schultern des großen und schlanken Motorrad-Fans lastet ein enormer Druck im Konzern. Denn Duesmann soll nun das Audi-MarkenVers­prechen „Vorsprung durch Technik“wieder stärker einlösen.

Das erwarten alle von ihm, ob auf der Arbeitgebe­r- oder Arbeitnehm­erseite. Der Mann, der bei BMW einst am Elektropro­jekt „i“mitgearbei­tet hat und in seiner Formel1-Zeit kurze Entscheidu­ngswege und den Teamgeist schätzen lernte, muss nun Audi, ja VW, also riesige Tanker auf Elektro- und Digitalkur­s bringen. Während Skeptiker glauben, deutsche Hersteller würden den Rückstand gegenüber Tesla nie wettmachen, kündigt Duesmann mit fester Stimme an: „Bei der Software wollen wir schnell aufholen.“

Einstweile­n gilt es aber im Volkswagen-Reich Rückschläg­e wegzusteck­en: Der VW-Konzern fuhr für das ersten Halbjahr vor Steuern einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro ein. Droht neues Job-Ungemach für die Audi- und VW-Mitarbeite­r? Was die Ingolstädt­er Firma betrifft, gibt Duesmann Entwarnung: „Bis 2029 gilt die Beschäftig­ungssicher­ung

für die Audi-Mitarbeite­r. An all dem halte ich fest. Daran wird nicht gerüttelt.“Im Übrigen werde das Programm „Audi.Zukunft“jetzt umgesetzt. Duesmann macht deutlich, dass er seinem Vorgänger Bram Schot und den Arbeitnehm­ervertrete­rn „sehr dankbar für die Vereinbaru­ng dieses Programms ist“. Hintergrun­d: Bei Audi werden bis 2025 maximal 9500 Arbeitsplä­tze sozial verträglic­h, also ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n abgebaut. Gleichzeit­ig entstehen aber bis zu 2000 neue Stellen in Zukunftsbe­reichen wie der Software-Entwicklun­g. Audi-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Peter Mosch bestätigt auf Nachfrage, dass über die Standorte hinweg schon rund 1300 Beschäftig­te mit Vorruhesta­ndslösunge­n ausgeschie­den seien. Das Programm läuft also. Duesmann kann sich auf den technologi­schen Wandel konzentrie­ren. Mosch beobachtet, dass der AudiChef dabei „zielstrebi­g vorgeht und die Mitarbeite­r mitnehmen will“. Mit Wohlwollen sieht es der Arbeitnehm­ervertrete­r, dass Duesmann reichlich Gespräche geführt hat: „Er bringt viel technische­n Sach- und Fachversta­nd ein.“Und das Zwischenme­nschliche? Mosch schlägt sanfte Geigentöne an und verzichtet auf alles Punkige: „Das passt zwischen mir und ihm. Das ist ein Verhältnis auf Augenhöhe.“

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Foto: dpa Auf dem neuen Audi-Chef Markus Duesmann lastet reichlich Druck.

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