Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ruhestörung: Einsatz eskaliert
Ein Einsatz wegen einer Ruhestörung in einer Oberhauser Wohnanlage eskaliert. Ein Bewohner feuert mit einer Schreckschusswaffe einem Beamten ins Gesicht. Es folgt eine stundenlange Polizeiaktion – auch mit Spezialkräften
Sie wirkt abgedroschen, die Redensart, dass Polizisten bei jedem Einsatz und hinter jeder Tür mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Doch der Satz stimmt. Das haben zwei Polizisten am Sonntagabend in einer Wohnanlage in Oberhausen erlebt. Was wie ein alltäglicher Routineeinsatz klang, eskalierte völlig unvermittelt. Ein 40-jähriger Bewohner des Mehrfamilienhauses schoss mit einer Schreckschusspistole aus direkter Nähe ins Gesicht eines Beamten. Es folgte eine mehrstündige Polizeiaktion, auch ein Sondereinsatzkommando rückte dabei an.
Es begann am Sonntag gegen 20.30 Uhr, als sich Bewohner einer städtischen WBG-Wohnanlage in der Zirbelstraße wegen einer Ruhestörung bei der Polizei meldeten. Aus einer Wohnung im zweiten Stock war Lärm zu hören. Eine Polizeistreife mit zwei Beamten fuhr deshalb zu dem Haus. Wie die Polizei meldet, klopfte einer der Beamten gegen die Tür der Wohnung. Dann ging offenbar alles sehr schnell. Der 40-jährige Deutsche öffnete die Tür, zielte mit einer Schreckschusspistole auf das Gesicht eines 33-jährigen Polizisten – und drückte sofort ab. Der Beamte wurde durch das Reizgas, mit dem die Waffe geladen war, verletzt.
Nach Angaben einer Polizeisprecherin erlitt der 33-Jährige mittelschwere Gesichtsverletzungen. Er wurde in der Uniklinik behandelt. Weil er eine Brille trug, waren seine Augen etwas geschützt. Sonst hätte der Schuss nach Einschätzung der Ärzte wohl schwere Augenverletzungen ausgelöst. Ein Nachbar, der im selben Haus wohnt, hörte den Knall, als die Gaspistole abgefeuert wurde. Er sah sich zu der Zeit eine Musiksendung im Fernsehen an, erzählt er. „Mir war sofort klar, dass dieser Knall nicht aus dem Fernseher kommt.“Der Anwohner blickte aus dem Fenster und sah, wie der verletzte Beamte aus dem Haus gelaufen kam und sich am Streifenwagen mit Wasser aus einer Trinkflasche die Augen auswusch. Als der Anwohner ins Treppenhaus schaute, forderte ein Beamter ihn auf, die Tür sofort wieder zu schließen und in der Wohnung zu bleiben.
Weil die Beamten zunächst nicht einschätzen konnten, wie gefährlich der Mann ist, sicherten sie das Treppenhaus des Gebäudes, um die Bewohner zu schützen. Ein Sondereinsatzkommando rückte dann zu dem Tatort an und überwältigte gegen 23.30 Uhr den Mann. Anwohner schildern, dass im Innenhof der Wohnanlage zahlreiche schwer bewaffnete Beamte Stellung bezogen hätten. Offenbar forderten die Polizisten den Mann auch noch mehrfach auf, die Wohnung zu verlassen. Dem kam er aber nicht nach. Als die Spezialkräfte die Wohnung stürmten, soll der 40-Jährige noch einmal mehrere Schüsse mit der Gaspistole abgegeben haben. Mehrere Polizisten erlitten deshalb Reizungen der Augen und der Atemwege. Die Beamten überwältigen den Mann aber und nahmen ihn fest.
Bei dem Einsatz haben die Polizisten offensichtlich die Wohnungstür eingeschlagen. Am Tag danach ist die Türöffnung mit Brettern provisorisch vernagelt. Die zerstörte Tür liegt noch im Eingangsbereich der Wohnung. Ein Polizeisiegel verbietet es, die Wohnung zu betreten. Die Kriminalpolizei ermittelt jetzt in dem Fall. Die Beamten wollen dabei auch klären, weshalb der Mann so überreagiert hat. Ein Nachbar sagt, der 40-Jährige sei ihm bisher nicht negativ aufgefallen. Der Mann habe seit einigen Jahren hier gelebt und sei seiner Beobachtung nach eher ein Einzelgänger gewesen.
In der Wohnanlage machen am Montag sogar Gerüchte die Runde, ein Polizist sei bei dem Einsatz in der Wohnung getötet worden. Völlig unbegründet ist das nicht. Denn auch ein Schuss mit einer Gaspistole kann gravierende Folgen haben. So kann bei einem Schuss aus geringer Entfernung etwa die Halsschlagader verletzt werden. Wird die Pistole direkt gegen den Kopf gehalten, können die Verletzungen auch tödlich sein. Gegen den 40-jährigen Schützen wird unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ein Richter erließ einen Haftbefehl. Der 40-Jährige sitzt jetzt in Untersuchungshaft.
Angriffe gegen Polizisten haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Augsburg gilt als Stadt, in der Polizisten besonders oft attackiert werden. Zuletzt gab es – gemessen an der Einwohnerzahl – hier die meisten Attacken im Vergleich der bayerischen Großstädte. Im Jahr 2018 registrierte die Augsburger Polizei 497 Übergriffe. Gezählt werden dabei Körperverletzungen, Widerstandshandlungen, aber auch Beleidigungen. Im Vergleich zum Jahr 2017 gab es damit noch einmal eine Steigerung um 16 Fälle. „Damit hat die Zahl der Gewalttaten gegenüber Polizeibeamten im Stadtgebiet den bisher höchsten Stand seit Beginn der statistischen Erfassung dieses Phänomenbereichs erreicht“, sagt Sprecher Michael Jakob.
Dass es bei Gewalttaten gegen Beamte ein Stadt-Land-Gefälle gibt, zeigen die Zahlen ebenfalls. Während es in der Stadt voriges Jahr fast 500 Übergriffe gab, lag die Zahl im Kreis Augsburg bei 108 und im Kreis Aichach-Friedberg bei 25 Fällen. Oft sind Betrunkene im Nachtleben die Täter, deshalb sind die Beamten der Innenstadt-Inspektion auch noch einmal besonders belastet. Aber auch Einsätze in Wohnungen können rasch eskalieren – wie der Fall vom Sonntagabend zeigt.
Die Zahl der Übergriffe auf Beamte steigt weiter