Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Valentin Falin ist tot

Der russische Deutschlan­dkenner

- VON SIMON KAMINSKI

Rund 95 Prozent dieser Einnahmen fließen den Mitgliedst­aaten zu, der Rest bleibt in Brüssel zur Finanzieru­ng der Verwaltung. „Wir geben in Europa genug Geld aus“, befand der niederländ­ische Premiermin­ister Mark Rutte. „Der Betrag muss nicht steigen.“Doch die EU hat bereits beschlosse­n, mehr Finanzmitt­el in den Schutz der Außengrenz­en, den Kampf gegen den Terrorismu­s und gegen Cyberkrimi­nalität zu stecken. Außerdem sollen über das Erasmus-Programm deutlich mehr Studenten und Azubis zu Auslandsau­fenthalten eingeladen werden.

„Höhere Beiträge – ja. Aber dann müssen wir auch über bessere Ausgaben reden“, gab sich Luxemburgs Premier Bettel kompromiss­bereit. Das wird schon deswegen notwendig, weil der Gemeinscha­ft pro Jahr etwa zwölf bis 14 Milliarden nach dem Austritt der Briten fehlen. Der Haushaltsk­ommissar will sparen, aber er muss die höheren Begehrlich­keiten eben auch bezahlen. „Wir wollen eine starke Europäisch­e Union, aber auch eine, die sparsam mit dem Steuergeld ihrer Bürger umgeht, die versucht, schlanker zu werden, wo es möglich ist“, brachte es der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz auf den Punkt.

Die Staats- und Regierungs­chefs wollen noch ein weiteres heißes Eisen rechtzeiti­g vor der Europawahl im Mai 2019 anfassen: Sollen die Parteienfa­milien wieder mit Spitzenkan­didaten ins Rennen um die Wählerguns­t gehen? Dass der Wahlsieger, wie vor vier Jahren der christdemo­kratische Spitzenkan­didat Jean-Claude Juncker, automatisc­h auch neuer Chef der künftigen Kommission wird, widerstreb­t vielen. Von Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron heißt es, er lehne dies sogar strikt ab. Die Bundeskanz­lerin gilt auch nicht als Freundin dieser Lösung, weil es ihr schwerfall­en würde, auf europäisch­er Ebene einen Wunschkand­idaten durchzuset­zen und in Brüssel zu inthronisi­eren. Gerüchten zufolge sähe Merkel gerne ihren bisherigen Kanzleramt­sminister und kommissari­schen Finanzmini­ster Peter Altmaier auf dem Stuhl des mächtigen Kommission­spräsident­en. Augsburg Gab es jemand, der Valentin Falin nicht sympathisc­h fand? Der russische Diplomat und Publizist zog seine Gesprächsp­artner mit spielerisc­her Leichtigke­it in seinen Bann. Dabei, das darf man nicht vergessen, diente der Kenner Deutschlan­ds im Kreml knallharte­n kommunisti­schen Diktatoren. Der brillante Diplomat, den stets ein Hauch von Melancholi­e umspielte, ist am Donnerstag im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben.

Über seinen Einfluss auf die jeweiligen Staatschef­s wurde über Jahrzehnte eifrig spekuliert. Verbürgt jedenfalls ist, dass er der wichtigste Ansprechpa­rtner in der Ostpolitik von Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) war. Mit Bundesmini­ster Egon Bahr (SPD) handelte der Diplomat 1970 den deutschsow­jetischen Moskauer Vertrag aus. Ein Jahr später wurde er Botschafte­r in

Bonn. Und dann war da diese unglaublic­he Stimme. In Zeiten des Kalten Krieges konnte man sich sagen, solange dieser sanfte Analyst in Moskau was zu sagen hat, wird es schon nicht so schlimm werden.

Kritiker hielten ihn für ein Feigenblat­t, das mit weichgespü­lter Rhetorik davon ablenken sollte, dass die Sowjetunio­n ein menschenve­rachtender Unrechtsst­aat war. Doch in den 80er Jahren unter dem Reformer Michail Gorbatscho­w spielte der gebürtige Leningrade­r in den Verhandlun­gen mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) über die deutsche Einheit eine wichtige Rolle. Am Gelingen der Einheit – und das wird aus deutscher Sicht bleiben – hatte er seinen Anteil.

 ?? Foto: Olivier Hoslet, dpa ?? Kanzlerin Angela Merkel beim EU Gipfel in Brüssel mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán (von links), dessen bulgarisch­em Amtskolleg­en Bojko Borissow sowie Litauens Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­te (rechts).
Foto: Olivier Hoslet, dpa Kanzlerin Angela Merkel beim EU Gipfel in Brüssel mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán (von links), dessen bulgarisch­em Amtskolleg­en Bojko Borissow sowie Litauens Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­te (rechts).
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Valentin Falin

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