Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Es ist alles einfach, so einfach gewesen“
Prozess Wie ein Buchalter der Caritas über Jahre fast 800 000 Euro auf eigene Konten umlenken konnte und weder die Geschäftsleitung noch die Wirtschaftsprüfer etwas gemerkt haben. Und warum der Mann jetzt nicht ins Gefängnis muss
Augsburg Der Schaden für die kirchliche Wohlfahrtsorganisation ist immens: Mehr als 800 000 Euro an Zuschüssen und Leistungen, die der Bezirk Schwaben überwiesen hat, hat ein Buchhalter der Augsburger Caritas für sich und seine Familie veruntreut. Gestern saß der 37-Jährige, der sich im August selbst angezeigt hatte, in Augsburg auf der Anklagebank. Ein Schöffengericht verurteilte ihn zu einer zweijährigen Haftstrafe sowie 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
Angesichts der Höhe des Schadens erscheint das als ein mildes Urteil – zumal der 37-Jährige nicht ins Gefängnis muss, da die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das hat einen Grund: Das Gericht erkannte eine gewisse Mitschuld des Arbeitgebers. Richterin Ulrike Ebel-Scheufele: „Die Taten sind dem Angeklagten leicht gemacht worden.“Verteidiger Stefan Pfalzgraf hatte es in seinem Plädoyer noch drastischer formuliert: „Hier haben Kontrollmechanismen versagt. Wären die Taten zwei Jahre früher entdeckt worden, wäre der Schaden nicht so groß gewesen.“
Der in einer Caritas-Filiale in der Region tätige Buchhalter hatte nach eigenen Angaben 20 Zahlungsanweisungen für gelieferte Waren oder auszuzahlende Fördergelder doppelt durch die Buchhaltung laufen lassen. Beim ersten Mal korrekt – und vor dem zweiten Mal waren die Kontonummern des Zahlungsempfängers ausgetauscht. Und zwar durch eigene Konten, die der Buchhalter bei drei verschiedenen Banken führte. „Das war relativ einfach zu machen“, sagte ein im Controlling tätiger Caritas-Mitarbeiter als Zeuge aus. Inzwischen sei das nicht mehr möglich. Ein „Update“im Softwareprogramm der Buchhaltung soll dies verhindern. Anstehen- de Aus- und Einzahlungen würden ohnehin seit eh und je nach dem Vier-Augen-Prinzip kontrolliert. Der ebenfalls als Zeuge geladene kaufmännische Leiter der Caritas, blieb hingegen eine schlüssige Erklärung schuldig, wie es dem Buchhalter dennoch gelingen konnte, dieses Prinzip auszuhebeln. Am 17. August vorigen Jahres – sein Chef hatte ihn wegen unerklärlicher Geldbewegungen aus dem Jahr 2016 zum Rapport einbestellt – fuhr der 37-Jährige stattdessen zur Kripo und zeigte sich selbst an.
Das Gericht hat dem Ex-Buchhalter, der sich gegenwärtig zum Lokführer umschulen lässt, zur Auflage gemacht, bis Ende August die veruntreute Summe komplett zurückzuzahlen. Andernfalls geht es für ihn doch noch ins Gefängnis. Der Angeklagte und seine Ehefrau halten bereits nach Kaufinteressenten für ihr Reihenhaus Ausschau. Und auch der angeschaffte BMW X 5 steht bereits zum Verkauf an.
„Ich kann es selber kaum fassen“– erkennbar aufgewühlt erschien der Angeklagte vor Gericht. Es sei ihm und der Familie schon vorher richtig gut gegangen, erzählt er. Vielleicht habe seine damalige Krebserkrankung eine Rolle gespielt. Mit 22 Jahren war er als gelernter Bürokaufmann vom bischöflichen Ordinariat zur Caritas gewechselt. Es sei eine von Beginn an ungeliebte Tätigkeit gewesen. Seinem Arbeitgeber verschwieg er damals: Als er zur Bundeswehr eingezogen werden sollte, hatten Bundeswehrärzte ihm eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Es blieb ohne Konsequenzen. Der Angeklagte hätte nie in den Finanzbereich gehen dürfen, bescheinigte ihm jetzt im Nachhinein ein Psychotherapeut. Jedes Jahr im Mai kamen Wirtschaftsprüfer zur Augsburger Caritas. Der Angeklagte äußerte sich verwundert, dass dort nichts aufgefallen ist: „Es ist alles einfach, so einfach gewesen.“Dem widersprach der kaufmännische Leiter der Caritas. Der 37-Jährige habe „hohe kriminelle Energie“bewiesen. 2014 hat der Buchhalter 154 000 Euro auf eigene Konten umgelenkt. Im Jahr darauf 225000 Euro. Im nächsten Jahr 267000. Wieso die Wirtschaftsprüfer bei ihrer Kontrolle der Buchhaltung nie etwas bemerkten? Antwort: Die Prüfung erfolge nur durch Stichproben.
Das Urteil entsprach der von Staatsanwältin Tanja Horvath beantragten Strafe. Der Angeklagte hat es sofort angenommen – froh darüber, diesen Sommer bereits die ersten Loks fahren zu dürfen. Die Prüfung im Mai macht ihm offensichtlich keine Angst mehr.
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