Augsburger Allgemeine (Land Nord)
H wie Hammelsprung
Normalerweise ist bei Abstimmungen im Bundestag alles ganz einfach. Die Regierungsfraktionen sind dafür, die Opposition dagegen. Bei Anträgen der Opposition läuft es genau andersherum. Oder, noch einfacher, alle Fraktionen stimmen zu, was in der Praxis öfter vorkommt, als man denkt. Reine Routine: Bei der zweiten Lesung heben die Abgeordneten die Hände hoch, bei der Schlussabstimmung, der dritten Lesung, erheben sie sich von ihren Plätzen. Bei namentlichen Abstimmungen ist es noch einfacher: Jeder Abgeordnete wirft eine farbige Stimmkarte mit seinem Namen in die Urne – blau für Ja, rot für Nein und weiß für Enthaltung. Nachdem die Schriftführer ausgezählt haben, steht das Ergebnis fest.
In Ausnahmefällen aber kommt es vor, dass der Bundestagspräsident nicht klar erkennen kann, wie viele Abgeordnete dafür und wie viele dagegen gestimmt haben. Dann kommt es zum berühmten Hammelsprung. Alle Abgeordneten verlassen den Plenarsaal – und betreten ihn sofort wieder durch eine von drei Türen, wobei eine für Ja, eine für Nein und eine für Enthaltung steht. Die Schriftführer zählen laut die Zahl der Abgeordneten, die durch die jeweilige Tür den Saal betreten. In dieser Legislaturperiode war kein einziges Mal ein Hammelsprung nötig, zu klar waren die Mehrheitsverhältnisse.
Der Name „Hammelsprung“geht auf ein Bild über einer Abstimmungstür im alten Reichstagsgebäude zurück. Das Bild zeigte den blinden Polyphem aus der griechischen Sage, wie er seine Hammel zählt, unter deren Bäuchen sich der fliehende Odysseus und seine Gefährten versteckt haben.