Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der preußische Italiener
Porträt Mario Draghi ist der mächtigste Banker Europas – seine Politik ist zwar erfolgreich, aber auch höchst umstritten. Wer ist der Mann, der unser Geld hütet?
Mit wenigen Worten hat er Geschichte geschrieben. „Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten“, versprach Europas oberster Währungshüter Mario Draghi im Sommer 2012. Das Machtwort des Italieners an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Eurozone in der tiefsten Krise ihrer jungen Geschichte stabilisiert – das gestehen Draghi sogar seine Kritiker zu. Gleichwohl wird bis heute auch vor Gericht gestritten, ob die Notenbank unter seiner Führung damit nicht ihre Kompetenzen überschreitet. Wer also ist der Mann, der am Sonntag 70 Jahre alt wird und als einer der mächtigsten Macher Europas gilt?
Als der einstige Jesuitenschüler Draghi 2011 den Franzosen JeanClaude Trichet als EZB-Präsident ablöst, gibt es in Deutschland Vorbehalte: Ausgerechnet ein Italiener soll die Stabilität der europäischen Gemeinschaftswährung garantieren? „Mamma mia“, stöhnte seinerzeit die Bild-Zeitung: „Bei den Italienern gehört Inflation zum Leben wie Tomatensoße zur Pasta!“Doch trotz einer beispiellosen Geldflut kam es bislang nicht zu der gefürchteten Geldentwertung. Im Gegenteil. Dennoch sind viele Menschen gerade in Deutschland nicht gut auf Draghi zu sprechen. Wahlweise ist von „zerstörerischer Geldpolitik“oder „Enteignung der Sparer“die
Rede, Banken und Versicherungen brechen im Zinstief Erträge weg. Was Sparer ärgert, freut Schuldner.
Wenige Silben können an der Börse Milliarden bewegen. Kritikern ist die Machtfülle der nicht demokratisch gewählten Notenbank und ihres Präsidenten („Super-Mario“) nicht geheuer. Auch das Bundesverfassungsgericht hat ernsthafte Bedenken, dass die Währungshüter zu weit gehen. Unter Druck setzen lässt sich der frühere Investmentbanker Draghi, dessen achtjährige Amtszeit im Herbst 2019 turnusgemäß endet, davon jedoch nicht. Er wusste schon als Jugendlicher, wie sich Verantwortung anfühlt. Als der gebürtige Römer 15 Jahre alt war, starb sein Vater. Der Sohn musste schnell erwachsen werden und die Familie zusammenhalten. Mancher spricht sogar von einem preußischen Pflichtbewusstsein des Italieners, der selbst zweifacher Vater ist.
Schon damals entwickelte er jedenfalls große Durchsetzungsfähigkeit – und offenbar auch eine gewisse Sturheit. Die Wirtschaftswoche beschrieb einmal, wie er als junger Wirtschaftsprofessor an der Universität von Trient das Examen abnahm. Seine Studenten erklärten ihm, sie wollten die Fragen nur als Kollektiv beantworten. Draghi konterte trocken: „Wenn der Kollektivsprecher richtig antwortet, besteht die ganze Klasse. Liegt er falsch, fallen alle durch.“Der Sprecher der Gruppe antwortete falsch – Draghi ließ alle durchfallen.