Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Brandbomben und Betonplatten
Polizeieinsatz Immer mehr wird deutlich, wie groß die Gefahr für das Leben der Beamten war
Ihre drei Tage Sonderurlaub nach dem G20-Einsatz brauchen viele der in Hamburg eingesetzten Polizeibeamten dringend. Nicht nur weil die meisten Hundertschaften wortwörtlich pausenlos so gut wie ohne Schlaf von Donnerstag bis Sonntag im Einsatz waren. Viele müssen auch erst ihre beklemmenden Erlebnisse verarbeiten: „Ich hatte zwar mit Gewaltexzessen gerechnet“, sagt ein Beamter der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Baden-Württemberg, „aber meine Erwartungen wurden übertroffen.“Doch immer mehr wird deutlich, dass es noch schlimmer hätte kommen können.
In der inzwischen republikweit bekannten Straße Schulterblatt hatten Linksextremisten eine lebensbedrohliche Falle für die Polizei vorbereitet: Auf den Dächern der mehrstöckigen Altbauhäuser horteten sie herausgerissene, kiloschwere Betonplatten und Brandbomben, während Plünderungen die Beamten in die Straße locken sollten: „Gegen Pflastersteine und Gehwegplatten von oben hätten Helme und Schutzausrüstung der Kollegen nichts genutzt“, sagt Gerhard Kirsch, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Hamburg. Auch die sogenannten Zwillen, mit denen Polizeibeamte während der Krawalle immer wieder beschossen wurden, hätten mit aus Astholz und Gummi gebastelten Steinschleudern nichts zu tun: „Das sind Präzisionswaffen, die mit großer Wucht murmelgroße Stahlkugeln verschießen, die Schutzausrüstung und Muskelgewebe durchschlagen.“
Dass die Polizei, was nun kritisiert wird, erst mit Verzögerung gegen die Plünderungen vorging und mit der Räumung des Schulterblatts begann, liegt für Kirch an dem mutmaßlichen Hinterhalt. Erst mussten schwerst bewaffnete, im Häuserkampf geschulte Spezialeinheiten ins Schanzenviertel gebracht werden, die die besetzten Gebäude schließlich räumten. Die Elitekräfte, darunter Mitglieder der GSG9, hielten sich laut Kirsch für den Fall bereit, dass etwa islamistische Terroristen den G20-Gipfel attackieren.
Nach Angaben des Polizeigewerkschafters hatten die Behörden durchaus mit schweren Ausschreitungen durch Linksextreme gerechnet, die gerade im Schanzenviertel „eine Art Ritual der Szene“seien. Der Verfassungsschutz habe vor schwersten Ausschreitungen gewarnt, linksextreme Internetseiten unverhohlen Gewalttaten angekündigt. Diese Dimension, die Intensität des Hasses und die offenbar akribische Planung von Hinterhalten mit dem Ziel, Polizeibeamte schwerst zu verletzen oder gar zu töten – das habe ihn dann doch schockiert, sagt Kirsch.
In den engen Gassen des Schanzenviertels haben die Extremisten laut Kirsch nichts dem Zufall überlassen, sondern auch Rückzugsmöglichkeiten, Fluchtwege und sogar die medizinische Versorgung von verletzten Gewalttätern lange im Voraus organisiert. Überall im Schanzenviertel waren demnach Klingelknöpfe mit dezenten roten Punkten markiert – Zeichen für die Bereitschaft der Bewohner, Linksextremisten auf der Flucht vor der Polizei Unterschlupf zu gewähren.
Und in der „Roten Flora“, einem von selbsternannten „Autonomen“besetzten Theatergebäude im Schanzenviertel, sei nach seiner Kenntnis eine Art Lazarett eingerichtet worden. „Am Ende waren wir in Hamburg mit 20 000 Beamten immer noch zu wenig“, sagt Kirsch.
Viele der Einsatzkräfte seien bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus gefordert, andere Bundesländer durch den massiven Einsatz in Hamburg „entblößt“gewesen. „Bei einer Terrorlage in München wäre es schwierig geworden“, glaubt der erfahrene Polizist. Nun räche sich, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Stellen bei der Polizei abgebaut wurden. „Die Polizei darf kein Spielball der Sparpolitik sein“, sagt Kirsch. Zum Teil forderten dieselben Parteien, die für den Kahlschlag bei der Polizei verantwortlich seien, nun deren Aufstockung. Doch neue Polizisten zu rekrutieren und auszubilden, das dauere Jahre. Kirsch warnt: „Wenn die Hütte brennt, ist es zu spät.“