Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Offenbarung in der Abstellkammer
Corentin ist 27 und hat keinen klaren Lebensplan. Er lässt sich treiben und arbeitet als Hochzeitsfilmer bei seinem Patenonkel Yvan, der 25 Jahre älter ist. Die beiden sind ein eingespieltes Team und zwischen Mai und September im Dauereinsatz. Wer Hochzeiten filmt und ihre Vorbereitungen, der lernt die Menschen kennen. Sieht Unbeholfenheit und Berechnung, große Gefühle und große Traurigkeit, sieht festliche Fassaden und das wilde Gefühlschaos dahinter. Corentin entwickelt eine Obsession für Offenbarungen, seit ihn eine Braut, Aline, in eine Abstellkammer bittet, wo er mit seiner Kamera die bewegende Liebeserklärung an Alines Mann aufzeichnet. Der Franzose Jean-Philippe Blondel zeigt sich auch in seinem neuen Roman „Die Liebeserklärung“als ein Meister des leichten und doch tiefsinnigen Erzählens, als ein feinsinniger Menschenbeobachter, der in schnörkelloser Sprache schreibt und sich mit viel Gespür sicher wie ein erfahrener Kameramann durch verschiedene Milieus der Gesellschaft bewegt. Seit seinem erfolgreichen Roman „6 Uhr 41“, in dem Blondel vom zufälligen Wiedersehen ehemaliger Liebender in einem Zug erzählt, gilt der 1964 geborene Autor als Garant für kunstvoll komponierte, eingängige und kompakte Romane. Auf Hochzeiten herrscht ein Reizklima, in dem nicht nur Familien aufeinandertreffen, sondern auch Wunsch auf Wirklichkeit trifft. Gewitter entladen sich – und für Überraschungen ist das Leben allemal gut. Michael Schreiner